Zum NS-Kontinuum

REFORM
Reform und Gewisssen (G. Aly) mit NS-Täter-Biographien von Werner Catel und Gerhard Kloos

Zum NS-Kontinuum in der Medizin

Aus den Täterbiographien der Medizinprofessoren Dr. Dr. Werner Catel und Dr. Dr. Gerhard Kloos lässt sich zweierlei ersehen: Zum einen wurden die im geheimen staatlichen Auftrag begangenen Untaten nicht verfolgt, sondern geduldet und gerechtfertigt, zum andern konnten die Täter mit ihren im Geist der NS-Medizin verfassten Schriften noch jahrzehntelang Schaden anrichten, ohne dass die Studierenden der Medizin oder die Kranken davor gewarnt wurden.

Werner Catel (1894–1981) setzte sich für die aktive Sterbehilfe als „Auslöschung“ und „Erlösung“ von Menschen mit Behinderungen ein.

Als Sechzehnjähriger hatte er eigenmächtig beim Sterben seiner Großmutter durch Verdoppelung der ärztlich verordneten Opium-Dosis nachgeholfen. Seither faszinierte ihn die Machtvorstellung, überlegt, indiziert, tatkräftig einzugreifen, um gezielt Menschen zu töten, also Sterbende von einem Leiden und leidende Kinder vom Leben zu „befreien“.

1932 wurde er Professor für Kinderheilkunde an der Charité, 1933 Ordinarius in Leipzig. Er war als Gutachter und Berater mitverantwortlich für den auf den 1.9.1939 datierten Gnadentod-Erlass: Vom ersten Tag des Krieges an wurde die „Euthanasie“-Aktion zur Ermordung von Epilepsiekranken, körperlich und geistig behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in die Tat umgesetzt.

Zehn Jahre später wurde eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung wegen Totschlags eingestellt. Erst 1960 gab Catel sein Amt als Direktor der Universitätskinderklinik Kiel auf. Doch schon 1962 befürwortete er wieder die fatale „Euthanasie“. Dass er sich nicht für seine Taten verantworten musste, wiegt umso schwerer, als er die eugenischen Auffassungen der NS-Zeit weiterverbreiten konnte.

Dem Werdegang  Werner Catels gleicht in weiten Teilen die Karriere des Professors Dr. med. Dr. phil. Gerhard Kloos (1906–1988), der sich trotz seiner Beteiligung an der NS- „Euthanasie“-Aktion ebenfalls einer gerichtlichen Verurteilung entziehen konnte.

Er schrieb auch zwei Theaterstücke und mehrere Gedichtbände.

Gerhard Kloos  hatte eine Dissertation über Synästhesien (1931) und eine weitere über Täuschungsphänomene (1933) verfertigt. Während des Krieges leitete er in Stadtrhoda bei Jena die Kinderfachabteilung [ohne Zusatz: für „Euthanasie“].

Nach dem Krieg war Kloos Direktor der Landesklinik in Göttingen. Er löste den widerständigen Klinikdirektor Ewald ab, der sich während der NS-Zeit  g e g e n  die NS-„Euthanasie“ gewandt hatte. Generationen von Studierenden der Medizin, die nichts von seinem Doppelleben ahnten, orientierten sich an dem Grundriß der Psychiatrie und Neurologie (1944) und einem Intelligenztest des Gerard Kloos. In diesen Kompendien herrschten rassenhygienische Begriffe und antisemitische Thesen vor. Die „Intelligenztest-Frage 16“ hatte z.B. gelautet: „Warum lehnen wir die Juden ab?“
In den Nachkriegsauflagen bekannte sich Kloos zur Kunst des Weglassens. Seine im Duktus der NS-Psychiatrie geprägten Schriften wurden allerdings noch nach seinem Tod (1988) verbreitet. Vgl.  Masuhr, K.F. und Aly, Götz: Der diagnostische Blick des Gerhard Kloos.In: Reform und Gewissen, S. 80-106. Berlin  1. Aufl. Berlin 1985, 2. Aufl. Bielefeld 1989.

In  den  Nachkriegsauflagen  bekannte  sich  Kloos  zur  Kunst  des Weglassens. Seine 
im Duktus der NS-Psychiatrie geprägten Schriften wurden allerdings noch nach seinem Tod (1988)
verbreitet. Darin war zu lesen, was mit „Störern“ zu geschehen habe: 

„Bei  den  störenden  Psychopathen,  insbesondere  den  Haltlosen, 
Gemütlosen,  Kriminellen,  sexuell  Perversen  und  Querulanten  ist ihre  Unschädlichmachung  durch  Abwehrmittel  der  Gesell- 
schaft am wichtigsten (Anstaltsunterbringung, Arbeitshaus, Sicherungsverwahrung usw.).    

Unter den Medizinern leisteten nur wenige Widerstand. vgl. Weiße Rose 

s. a. https://www.zeit.de/2018/45/antisemitismus-reichskristallnacht-juden-pogrome-diskriminierunghttps://arztdichter.net/2023/08/30/das-ende-der-sprache-vor-dem-mauerfall-ein-flugblatt-der-aiwanger-bruder/

 https://arztdichter.net/2023/08/30/das-ende-der-sprache-vor-dem-mauerfall-ein-flugblatt-der-aiwanger-bruder/

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Der bekannte Heidelberger Mediziner Prof. Dr. Dr. Gotthart Schettler (ehemals NSDAP-Funktionär, jedoch nicht an der NS-„Euthanasie“ beteiligt) hatte sich gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten Hans Filbinger (ehemals NS-Richter) in den 1970ern gegen die Hochschulreform gestellt. Jetzt äußerte sich ein Verfolgter des NS-Regimes:

Mit den Worten „Gotthard Schettler verunziert die Ehre von Falkenstein“, weist Hans Selbiger auf die Nazi-braune Vita des 1917 in Falkenstein geborenen späteren Arztes hin. Ihm die Ehre abzuerkennen, führt Selbiger nicht in erster Linie zurück auf die Mitgliedschaft in der NSDAP, in die der Falkensteiner in jungen Jahren eintrat.“ Schettler hatte in dem Gutachten Selbigers Verfolgungsschäden mit diesen Worten angezweifelt:

Die jüdische Rasse scheint zu Gicht, Diabetes mellitus und familiärer Hypercholesterinämie…. zu neigen“.
Damit hatte Schettler den Stab über Horst Selbiger und wohl zahlreichen anderen, Entschädigung fordernden Holocaust-Opfern gebrochen. (Cornelia Henze)

2 Kommentare zu „Zum NS-Kontinuum

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