Die ahnungslosen Deutschen


„Vom Holocaust haben wir nichts gewusst“. Die Nachkriegs-Ausrede vieler Deutscher: eine Lebenslüge. Das weist der US-Historiker Robert Gellately in seiner neuen Studie „Backing Hitler“ nach.

https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2001/Holocaust-Die-Luege-von-ahnungslosen-Deutschen,erste7664.html?fbclid=IwAR15tySa0j3kZbkiDBtJe9gKrknF2q9odies7eZVIPGVPHH2Rx8cRLJf4Fk

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„Es gibt einen Ort, der in Deutschland sofort Kontroversen auslöst, sofort Ablehnung oder Schuldgefühle weckt, einen Ort, von dem man annehmen könnte, dass alle ihn kennen: Auschwitz. Doch jeder fünfte Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren hat davon noch nichts gehört. Das ist der eine Teil der Wirklichkeit. Der andere: Viele von denjenigen, die mit Sicherheit etwas über die Vernichtung der rund sechs Millionen Juden und über den tödlichen Terror gegen andere Minderheiten wussten, behaupten bis heute, davon damals nichts gehört zu haben. Auschwitz war weit weg, irgendwo im Osten. Die Wirklichkeit ist aber auch hier noch eine andere. Die meisten Menschen wurden nicht in Auschwitz, sondern in einem der vielen anderen Lager umgebracht. Tausende davon gab es auch in Deutschland. Der Mord geschah also auch in der Nachbarschaft.“ (Volker Steinhoff) s.a. Das Kontinuum der NS-Medizin

Die Denunziation von Blutsverwandten, wie im Fall des Arztdichters da Silva, gehörte keineswegs zu den historischen Einzelfällen mit tödlichem Ausgang: 300 Jahre nach dem Autodafé von Lima, als mit dem II. Weltkrieg der NS-Völkermord begann, wurden immer mehr widerständige Menschen von ihren nächsten Angehörigen an die Gestapo verraten, um inhaftiert oder hingerichtet zu werden. Allerdings fiel auch die Gestapo nicht auf jede Anzeige eines denunziationswilligen Ehepartners herein.

https://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Die-Luege-von-ahnungslosen-Deutschen,panorama8294.html

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Götz Aly, Geschwister-Scholl-Preisträger

 

http://www.geschwister-scholl-preis.de/preistraeger_2010-2019/2018/index.php

Begründung der Jury

Die Erforschung der Verbrechen des Nationalsozialismus hat der Historiker Götz Aly mit bedeutenden Büchern vorangetrieben, darunter ‚Vordenker der Vernichtung‘ (1991, mit Susanne Heim), ‚Hitlers Volksstaat‘ (2005) und ‚Warum die Deutschen, warum die Juden?‘ (2011). In seinem jüngsten Buch ‚Europa gegen die Juden. 1880-1945‘ zieht er eine Art von Summe – indem er eine markante These zu den Möglichkeitsbedingungen des Holocaust umfassend belegt und begründet, mit ganz Europa im Blick. Der Antisemitismus war demnach nicht die Sache einer Minderheit von irrationalem Hass getriebener Fanatiker. Für die Verdrängung der Juden aus dem bürgerlichen Leben gab es rationale Gründe – rational im Sinne von: erklärbar, aus den materiellen Interessen derjenigen, die von der Beseitigung der Konkurrenz profitierten. Mit verblüffendem Effekt zitiert Aly aus der prophetischen Geschichtsschreibung des bayerischen Finanzbeamten Siegfried Lichtenstaedter, der 1942 in Theresienstadt ermordet wurde. Es war möglich, den Holocaust vorauszusagen. Dann hätte er auch verhindert werden können. Und dann sollte es wenigstens möglich sein, ihn zu erklären.[…]

In diesem Band ist auch  der Aufsatz enthalten: Karl F. Masuhr und Götz Aly:  Der diagnostische Blick des Gerhard Kloos:

Götz Aly, geboren 1947, ist Historiker und Journalist. Er arbeitete u.a. für die »taz«, die »Berliner Zeitung« und als Gastprofessor. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt.

Neuerscheinungen Buchtipps

In diesem lesenswerten Buch finden sich auch einige Kurzbiographien von Ärzten, die Dichter waren.

Auch wenn »globale Menschenrechte« mittlerweile zum Standardrepertoire des politischen Diskurses gehören, ist ihre philosophische Rechtfertigung nach wie vor umstrittenes Gebiet. Während zum Beispiel die einen sagen, Menschenrechte seien das trojanische Pferd, mit dem der Westen seinen neoliberalen way of life in alle Welt zu exportieren trachtet, verbinden andere mit der Idee einer Weltbürgerschaft mit verbrieften Rechten einen unzulässigen Eingriff in die Souveränität demokratischer Staaten. Seyla Benhabib entwickelt in ihrem Buch ein diskursethisches Instrumentarium, um solche falschen Gegensätze zu überwinden. Anhand zahlreicher Beispiele – Kopftuchstreit, Flüchtlingspolitik, humanitäre Interventionen – zeigt sie Wege zu einem engagierten, kontextsensitiven demokratischen Kosmopolitismus jenseits von Interventionismus und Indifferenz.

Hilmar Klute
Neuerscheinung, Debut-Roman von Hilmar Klute

Hilmar Klute schreibt in einer ganz eigenen, atmosphärisch dichten Sprache, und wie nebenbei erkundet er ein Panorama der deutschen Nachkriegsliteratur, wie man es noch nie gelesen hat.

VIDEO youtube https://www.youtube.com/watch?v=64qfyun48zA?ecver=2%5D

Sucht und Pseudopathie

Gehirnhttps://www.researchgate.net/publication/236000394_Sucht_und_Pseudopathie

SUCHT
Schmerzen als Ausdruck von Angst durchwandern Kopf und Rumpf und können dazu führen, dass der Schmerzkranke von Arzt zu Arzt wandert. Chronifizierte Nacken-Kopf- und Rückenschmerzen (Post-Concussion-Syndrom, low back pain, Postdisektomie-Syndrom) werden Besitz anzeigend als „mein“ Schmerz, ebenso wie ein langjährig ein- genommenes Analgetikum als „mein“ Schmerzmittel bezeichnet, d.h. mangels persönlicher Bindungen und Gesprächspartner gleichsam als Angehörige und ständige Begleiter personifiziert. Dann entwickelt sich auch eine Abhängigkeit von „meinen“ Ärzten und „meinen“ Patienten in einem Zweckbündnis. Dieses süchtige Verhalten ist der Pseudopathie zuzurechnen.
PSEUDOPATHIE
Wenn bereits aus der Anamnese eine auffällige Störung im Verhältnis von Arzt und Patient hervorgeht, die sich oft auch in häufig wechselnden Partnerbeziehungen findet, sollte man je nach dem Grad der MUS ein leichtes, mittelschweres oder schweres Pseudopathie-Syndrom (PDPS) annehmen.

Die pseudopathische Situation ist nicht als individuelles Kranksein zu verstehen, sondern spielt sich  z w i s c h e n  Patient und Arzt ab. Man spricht auch von einer Pseudopathie in gestörten Patient – Arzt – Beziehungen.

■ Die Betroffenen klagen solange über vielfältige, medizinisch unerklärte Symptome (MUS) bei somatoformen Störungen, bis Arzt und Patient resignieren (leichtes PDPS).
■ In komplexen Situationen erfolgt ein Rollentausch von Arzt und Patient: Der pro fessionelle Patient übernimmt die idealisierte Arztrolle, und der Arzt leidet darun-ter, wenn der Patient mit ihm gemeinsam Fehldiagnosen stellt (mittelschweres PDPS, z.B. „Koryphäen-Killer-Syndrom “).
■ Im „Doktorspiel“ der Erwachsenen kommen aggressiv-masochistische Triebimpulse zum Ausdruck (schweres PDPS, „Münchhausen-Syndrom “). Die Ausbreitungstendenz von Diagnosen, die v.a. auch durch die Klassifikationen (ICD und DSM) gefördert wird,
ist durch den „Pseudopathie“-Begriff einzugrenzen. Somit ist eine „positive“ Diagnose zu stellen, wenn von Anfang an die Phänomenologie und die Dynamik der psychosomatischen Körperbeschwerden – auch im Verhältnis von Arzt und Patient – beachtet werden.

Vater-Gedichte 2

Igor Samojlenko, Nicolas Born, Jon Mukand

 

Heute mache ich alles zweimal.
Ich stelle meinen Klappstuhl ans Ufer
und daneben seinen
und halte meine Angel sachte
in den Fluß und seine.
Später bestelle ich ein Bier für mich
und eines für meinen Vater.
Dann bestelle ich uns noch zwei Bier
und zwischendurch zwei Schnitzel.
Ich trinke alles aus
und esse alles auf.
Ich fülle meinen Lottoschein
mit seinen Geburtsdaten aus
und seinen mit meinen und klopfe
zweimal dreimal auf den Tisch.
Ich bestelle uns noch zwei Bier,
trinke beide auf Ex, rufe zwei Taxis.
Das leere fährt dem besetzten hinterher,
im Rückspiegel biegt es ab.
Ich putze meine Sonntagsschuhe
für den Kirchgang und seine.
Für morgen früh rufe ich
den Weckdienst des Hotels an:
Kurz vor Sonnenaufgang
für uns beide. Laß uns frühstücken
wie immer: schweigend.
Aus Gewohnheit habe ich nur eine
statt zwei Zeitungen gekauft.
Einer liest leise,
der andere lauscht.

(Igor Samojlenko)

Igor


(s.a. weitere herausragende Vater-Gedichte von Nicolas Born und Jon Mukand)

DA STEHT NICHT NUR KEINE LINDE/

ABER WER HINKOMMT/

FINDET’S SCHÖN GRÜN/ES WÄCHST EINE MENGE/VON FRÜHER HERÜBER […]

AUF DER FENSTERBANK LIEGEN ZEITUNGEN/

DER LETZTEN DREI TAGE

(Nicolas Born)

Born Nicolas
Nicolas Born


Someday, I will hear the tabla, whose rhythm
no EKG can capture and no cardiologist
can interpret. The music will
take me back to the lotus pond
our old home in the village of Sultanpur:
then, I will drift away on the fallen petals.

Eines Tages werde ich die Tabla hören, deren Rhythmus
kein EKG aufnehmen und kein Kardiologe
interpretieren kann. Die Musik wird
mich zum Lotusteich zurückbringen
an unser altes Haus im Dorf Sultanpur:
dann werde ich auf fallenden Blütenblättern wegtreiben.

(Jon Mukand)

und Vatergedichte 1

 

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Tabla, Indien

Mukand
Jon Mukand, Arzt und Lyriker, Boston und New York

A thing of beauty is a joy for ever

Keats
John Keats, Arzt und Lyriker
John Keats (1795-1821), britischer Arzt und Lyriker:
 
A thing of beauty is a joy for ever
Wo Schönheit ist, ist Freude auch für immer
 
(Diesen Vers vergessen selbst Alzheimer-Kranke niemals.)

Wo Schönheit ist, ist Freude auch für immer

A thing of beauty is a joy for ever

John Keats’ posthum veröffentlichter Briefwechsel mit der 19-jährigen Modistin Fanny Brawne ist eine Liebesgeschichte, die von beiden in lyrischer Form dialogisch verkörpert wurde. Denn Fanny hatte sich insgeheim seine Gedichte – learning by heart – fest eingeprägt: A thing of beautyi s a joy for ever.

Seit ihrer Begegnung gehörte Endymion, die poetische Romanze, weder ihm noch ihr allein, sondern dem Paar, das die schönsten Verse in den intimen Dialog übernahm. Fortan gehörte aber der Dichter sich selbst nicht mehr. Denn Fanny hatte nicht nur seine Verse, sondern auch ihn selbst auswendig gelernt und inwendig versteckt, um ihn zu beschützen und zu behalten.

Er war in der Lieblichkeit der Begegnung für immer gefangen: Wo Schönheit ist, ist Freude auch für immer.

s. auch Doctors, poets and rebels

Eins seiner schönsten Gedichte richtet sich aus poetischer Distanz an eine Unbekannte:

An eine Dame (flüchtig gesehen in Vauxhall)
Time’s sea hath been five years at its slow ebb,
Long hours have to end and fro let creep the sand,
Since I was tangled in the beauty‘s web,
And snared by the ungloving of thy hand.

Fünf Jahre ebbt das träge Meer der Zeit,
Und langsam rann der feine Stundensand,
Seit du den Handschuh zogst von weißer Hand
Und ich mich fing in deiner Lieblichkeit.

Der glückliche Augenblick einer Begegnung dehnt sich auf Jahre und täglich gezählte Stunden aus. Es ist „das träge Meer der Zeit“ im Wechsel der Gezeiten. Während der reale Hintergrund verschwimmt, entwickelt sich ein scharfes Erinnerungsbild, das von der flüchtig beobachteten Szene zu einem immer wiederkehrenden Déjà vu-Erlebnis anwächst. Da der abgestreifte Handschuh – glove – sich leicht auf love reimen ließe, könnte die Geste der fremden Frau ein minimales Entgegenkommen und damit den Beginn einer Liebesbegegnung anzeigen…





Kaiser Neros täglicher Auftritt – nervt

 

Nero

Was wäre, wenn wir täglich das Bild des größten Kaisers der Welt, der Rom wieder groß machte, und ständig seine Untertanen mit seinen öffentlichen Auftritten tyrannisierte, auf dem Bildschirm betrachten müssten? Sollte sich das genervte Publikum lieber totstellen?

GERHARD FINK berichtet über Tostellversuche: Wenn Nero als Sänger auftrat, durfte niemand, auch nicht, wenn er zwingende Gründe hatte, das Theater verlassen. So sollen etliche Frauen während der Vorstellung Kinder geboren haben, und viele Männer, die von Gesang und bestelltem Beifall genug hatten, sprangen, da die Stadttore verriegelt waren, heimlich von der Mauer oder stellten sich tot und ließen sich wie zum Begräbnis hinaustragen.

 

Zu weiteren Totstellversuchen

Psychosomatik chronischer Schmerzen

radikulär
neuropathische Wurzelschmerzen bei lumbalen Bandscheibenvorfällen

Der neuropathische Schmerz beruht auf einer Schädigung oder Erkrankung somatosensorischer Strukturen im peripheren und zentralen Nervensystem. Durch die Läsion werden neuroplastische Veränderungen induziert.Gehirn
Die spontan auftretenden oder evozierten neuropathischen Beschwerden sind durch quälende, meist brennende Dauerschmerzen und rezidivierende Neuralgien (Shmerzattacken) gekennzeichnet. Die Kranken bezeichnen auch leichte taktile und thermische Stimuli als schmerzhaft (Allodynie). Schon ein gering schmerzhafter Reiz aufder Haut löst einen stärkeren Schmerz aus (Hyperalgesie) und kann das betroffene Areal überschreiten, also im gesunden Bereich empfunden werden.
Fast ein Drittel (31,7 – 32,9 %) der Bevölkerung berichtet über chronische Schmerzen von mindestens dreimonatiger Dauer. Das weibliche Geschlecht überwiegt. Zusätzliche körperliche und soziale Beeinträchtigungen werden von > 5% der Befragten angegeben. An erster Stelle stehen Rückenschmerzen. 53% der Patienten mit chronischen Erkrankungen der Wirbelsäule klagen über neuropathische Schmerzen.
Schmerzpsychotherapie
Zur Entlastung des Schmerzgedächtnisses eignet sich daher ein Tagebuch,
in das der Patient nicht nur die Intensität und situative Verstärkung der Beschwerden, seiner Empfindungen und Missempfindungen,sondern auch die schmerzlindernde Wirkung der Therapie einträgt.

Differentiated Diagnostics and Multimodular Therapy of Neuropathic Pain | Request PDF. Available from: https://www.researchgate.net/publication/271117950_Differentiated_Diagnostics_and_Multimodular_Therapy_of_Neuropathic_Pain [accessed Nov 02 2018].

siehe auch Psychosomatik akuter Schmerzen

 

Zum NS-Kontinuum in der Medizin

REFORM
Reform und Gewisssen (G. Aly) mit NS-Täter-Biographien von Werner Catel und Gerhard Kloos
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Zum NS-Kontinuum in der Medizin

Aus den Täterbiographien der Medizinprofessoren Dr. Dr. Werner Catel und Dr. Dr. Gerhard Kloos lässt sich zweierlei ersehen: Zum einen wurden die im geheimen staatlichen Auftrag begangenen Untaten nicht verfolgt, sondern geduldet und gerechtfertigt, zum andern konnten die Täter mit ihren im Geist der NS-Medizin verfassten Schriften noch jahrzehntelang Schaden anrichten, ohne dass die Studierenden der Medizin oder die Kranken davor gewarnt wurden.

Werner Catel (1894–1981) setzte sich für die aktive Sterbehilfe als „Auslöschung“ und „Erlösung“ von Menschen mit Behinderungen ein.

Als Sechzehnjähriger hatte er eigenmächtig beim Sterben seiner Großmutter durch Verdoppelung der ärztlich verordneten Opium-Dosis nachgeholfen. Seither faszinierte ihn die Machtvorstellung, überlegt, indiziert, tatkräftig einzugreifen, um gezielt Menschen zu töten, also Sterbende von einem Leiden und leidende Kinder vom Leben zu „befreien“.

Er schrieb auch zwei Theaterstücke und mehrere Gedichtbände.

1932 wurde er Professor für Kinderheilkunde an der Charité, 1933 Ordinarius in Leipzig. Er war als Gutachter und Berater mitverantwortlich für den auf den 1.9.1939 datierten Gnadentod-Erlass: Vom ersten Tag des Krieges an wurde die „Euthanasie“-Aktion zur Ermordung von Epilepsiekranken, körperlich und geistig behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in die Tat umgesetzt.

Zehn Jahre später wurde eine staatsanwaltschaftliche Untersuchung wegen Totschlags eingestellt. Erst 1960 gab Catel sein Amt als Direktor der Universitätskinderklinik Kiel auf. Doch schon 1962 befürwortete er wieder die fatale „Euthanasie“. Dass er sich nicht für seine Taten verantworten musste, wiegt umso schwerer, als er die eugenischen Auffassungen der NS-Zeit weiterverbreiten konnte.

Dem Werdegang  Werner Catels gleicht in weiten Teilen die Karriere des Professors Dr. med. Dr. phil. Gerhard Kloos (1906–1988), der sich trotz seiner Beteiligung an der NS- „Euthanasie“-Aktion ebenfalls einer gerichtlichen Verurteilung entziehen konnte.

Gerhard Kloos  hatte eine Dissertation über Synästhesien (1931) und eine weitere über Täuschungsphänomene (1933) verfertigt. Während des Krieges leitete er in Stadtrhoda bei Jena die Kinderfachabteilung [ohne Zusatz: für „Euthanasie“].

Nach dem Krieg war Kloos Direktor der Landesklinik in Göttingen. Er löste den widerständigen Klinikdirektor Ewald ab, der sich während der NS-Zeit  g e g e n  die NS-„Euthanasie“ gewandt hatte. Generationen von Studierenden der Medizin, die nichts von seinem Doppelleben ahnten, orientierten sich an dem Grundriß der Psychiatrie und Neurologie (1944) und einem Intelligenztest des Gerard Kloos. In diesen Kompendien herrschten rassenhygienische Begriffe und antisemitische Thesen vor. Die „Intelligenztest-Frage 16“ hatte z.B. gelautet: „Warum lehnen wir die Juden ab?“
In den Nachkriegsauflagen bekannte sich Kloos zur Kunst des Weglassens. Seine im Duktus der NS-Psychiatrie geprägten Schriften wurden allerdings noch nach seinem Tod (1988) verbreitet. Vgl.  Masuhr, K.F. und Aly, Götz: Der diagnostische Blick des Gerhard Kloos.In: Reform und Gewissen, S. 80-106. Berlin  1. Aufl. Berlin 1985, 2. Aufl. Bielefeld 1989.

Unter den Medizinern leisteten nur wenige Widerstand. vgl. Weiße Rose 

s. a. https://www.zeit.de/2018/45/antisemitismus-reichskristallnacht-juden-pogrome-diskriminierung

Klaus Barbie war vom bolivianischen Geheimdienst auf die Spur der Guerilleros gesetzt worden. So kam es, dass vor 50 Jahren Commandante Ernesto Guevara mithilfe des deutschen Adlers aufgespürt wurde.

 

Der bekannte Heidelberger Mediziner Prof. Dr. Dr. Gotthart Schettler (ehemals NSDAP-Funktionär) hatte sich gemeinsam mit dem Ministerpräsidenten Hans Filbinger (ehemals NS-Richter) in den 1970ern gegen die Hochschulreform gestellt. Jetzt äußerte sich ein Verfolgter des NS-Regimes:

Mit den Worten „Gotthard Schettler verunziert die Ehre von Falkenstein“, weist Hans Selbiger auf die Nazi-braune Vita des 1917 in Falkenstein geborenen späteren Arztes hin. Ihm die Ehre abzuerkennen, führt Selbiger nicht in erster Linie zurück auf die Mitgliedschaft in der NSDAP, in die der Falkensteiner in jungen Jahren eintrat.“ Schettler hatte in dem Gutachten Selbigers Verfolgungsschäden mit diesen Worten anzweifelt:

Die jüdische Rasse scheint zu Gicht, Diabetes mellitus und familiärer Hypercholesterinämie…. zu neigen“.
Damit hatte Schettler den Stab über Horst Selbiger und wohl zahlreichen anderen, Entschädigung fordernden Holocaust-Opfern gebrochen. (Cornelia Henze)