Mit dem Gedicht Schöne Jugend spielte Benn auf die Figur der Ophelia an, die gemeinhin als ein zerbrechliches feminines Wesen beschrieben wird und mehr am Jenseits als am Diesseits interessiert zu sein scheint: Sterben, Tod und Leichnam sollten in der Kunst stets ästhetisch ansprechend abgebildet sein. Doch Benn zerstörte das romantische Stereotyp der femme fragile. In neuer, expressionistischer Darstellung bildeten jetzt ekelerregende Autopsie-Befunde einen Kontrast zu den Bildern „schöner“ Wasserleichen:
SCHÖNE JUGEND
Der Mund eines Mädchens, das lange im Schilf gelegen hatte,
sah so angeknabbert aus.
Als man die Brust aufbrach, war die Speiseröhre so löcherig.
in einer Laube unter dem Zwerchfell
fand man ein Nest von jungen Ratten.
Ein kleines Schwesterchen lag tot.
Die andern lebten von Leber und Niere,
tranken das kalte Blut und hatten
hier eine schöne Jugend verlebt.
Und schön und schnell kam auch ihr Tod:
Man warf sie allesamt ins Wasser.
Ach, wie die kleinen Schnauzen quietschten!
Er hatte begonnen, seine Erfahrungen aus dem Seziersaal zu verarbeiten, aber sich noch nicht für eine bestimmte medizinische Fachrichtung entschieden, und dann war plötzlich die ruhige Sprechzimmersituation, das Gespräch mit den einfachen Fragen zur Lebensgeschichte der Kranken, für ihn unerträglich geworden. Deshalb scheiterte er schon zu Beginn seiner Tätigkeit an der Psychiatrischen Klinik der Charité. Nach eigenem Bekenntnis versagte er, als er am Krankenbett eine biographische Anamnese erheben wollte:
„ Mein Mund trocknete aus, meine Lider entzündeten sich, ich wäre zu Gewaltakten geschritten, wenn mich nicht vorher schon mein Chef zu sich gerufen, über vollkommen unzureichende Führung der Krankengeschichten zur Rede gestellt und entlassen hätte.“ ( Ärzte, Dichter und Rebellen S. 152f.)

Ein Kommentar zu „Schöne Jugend – der Pathologe Gottfried Benn“