„Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden“ (S. Kierkegaard).

Hervorgehoben

 

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Winfried Kahlke

 

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Auszug aus der Rede Prof. Kahlkes auf dem 119. Ärztetag

 

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              Prof. Dr. med. Winfried Kahlke

Ehrenpräsident des 119. Deutschen Ärztetages

„Das Leben kann nur in der Schau nach rückwärts verstanden, aber nur in der Schau nach vorwärts gelebt werden“ ( S. Kierkegaard).
 
Hundert Jahre nach dem ersten Deutschen Ärztetag stand die überfällige Reform der Universitäten auf   der Agenda. […]
 
In seiner einstimmig und ohne Enthaltungen angenommenen Entschließung
der „Nürnberger Erklärung des Deutschen Ärztetages 2012“ werden ausdrück-
lich die „Menschenversuche mit vielen tausend Opfern und die Tötung von über 200.000 psychisch kranken und behinderten Menschen, ebenso die Zwangssterilisation von über 360.000 als ‚erbkrank‘ klassifizierten Menschen“ genannt. Diesem „Schuldbekenntnis“ war der Diskurs des denkwürdigen 90. Deutschen Ärztetages 1987 in Karlsruhe vorausgegangen, auf dem der Vorstand mit überwiegender Mehrheit aufgefordert wurde, das Thema „Medizin und Nationalsozialismus“ weiter zu diskutieren und aufzuarbeiten.
 
 
Unvergessen und vielfach geehrt sind die jungen Mediziner der Widerstands-
gruppe „Weiße Rose“: Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und
Hans Scholl, die wie die Biologie- und Philosophiestudentin Sophie Scholl,
Hans Scholls jüngere Schwester, 1943 hingerichtet wurden. Zwei Mitglieder
der „Weiße Rose Hamburg“, Margaretha Rothe und Frederick Geussenhainer, die ebenfalls 1943 an die Gestapo verraten und verhaftet, in Gefangenschaft verstorben bzw. ermordet wurden, werden im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durch ein Lehrgebäude geehrt, das ihren Namen trägt. […]
 
 
Die überall in unserem Land anzutreffende Hilfsbereitschaft ist überwälti-
gend, sie sollte zum Leitfaden im politischen und kulturellen Wandel unserer
Gesellschaft werden, ausgelöst durch die Zuwanderung und Integration der
Millionen Menschen, die vor Krieg und Elend geflohen sind.[…]
 
 
Der Pathologe und Politiker Rudolf Virchow (1821–1902):
„Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und Politik ist weiter nichts als Medizin im Großen.“ […]
 
Prof. em. Dr. med. Winfried Kahlke
Ehrenpräsident des 119. Deutschen Ärztetages
 
 
Wortlaut (PDF):

Lehnitzer Lesung und Gespräch: Der Dichter und Arzt Friedrich Wolf

Masuhr Lehnitz FOTO1
Karl f. Masuhr und Paul Werner Wagner (Moderator) in Lehnitz

Dichter, Ärzte und Rebellen

Dr. Karl F. Masuhr im Gespräch mit Paul Werner Wagner

Friedrich Schiller, Georg Büchner und Arthur Schnitzler geben die Richtung des Diskurses an, in dem sich der angesehene Neurologe Dr. Karl F. Masuhr unter anderem mit den psychosomatischen Aspekten des Wirkens von über 50 Autorinnen und Autoren beschäftigt. Viele haben einschneidende Erlebnisse gemeinsam, wie die Teilnahme an Kriegen mit andauernden Folgen auch für das literarische Schaffen. Von Friedrich Wolf, als Teilnehmer an zwei Weltkriegen sind viele Zeugnisse der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse erhalten wie die Erzählungen „Langemark“ und „Der Sprung durch den Tod“, das Poem „Was taten wir“ oder in Vorausschau der menschengemachten Katastrophe „Professor Mamlock“. Die genaue Kenntnis sozialer Verhältnisse fließt auch in „Cyankali“ ein. Das Stück gegen den Abtreibungsparagrafen 218 bringt ihn ins Gefängnis, wo er an Asthmaanfällen leidet, wie andere Literaten unter ähnlichen Umständen. Die Rebellion der Kindheit gegen den übermächtigen Vater und den Drill in der Schule sowie das innige Verhältnis zu Mutter und Großmutter sind als prägende Einflüsse ebenfalls im Blickpunkt des Neurologen.

 

(Paul Werner Wagner, Vorsitzender der Friedrich-Wolf-Gesellschaft)

03. Februar 2019 , 15:00 Uhr
Friedrich-Wolf- Gedenkstätte
Alter Kiefernweg 5, 16515 Oranienburg OT Lehnitz

VIDEOCLIPS zu Professor Mamlock:
                          und zu Cyankali (1930 u. Remake 1977

 

Buchbesprechung Deutsches Ärzteblatt: Arzt-Dichter, eine revolutionäre Mischung

Rezension 14. Dezember 2 Rezensionen
Arztdichter Deutsches Ärzteblatt Dezember 2018, Fortsetzung:

Ärzteblatt foto 2

Link zum Verlag K&N:

https://www.verlag-koenigshausen-neumann.de/product_info.php/info/p8768_Aerzte–Dichter—Rebellen–Psychosomatische-Aspekte-ihres-Wirkens-.html

siehe auch Rezensionen und Reaktionen

Friedrich Schiller
Friedrich Schiller

4 Büchner
Georg Büchner

marat
Jean Paul Marat

Döblin

duhamel
Georges Duhamel

celine
Louis-Ferdinand Céline

schweitzer
Albert Schweitzer

William Carlos Williams

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Antonio Lobo Antunes

Mukand
Jon Mukand

Keats
John Keats

Schnitzler
Arthur Schnitzler

2 Harriet Straub neu
Harriet Straub (Hedwig Mauthner)

33 El Saadawi
Nawal El Saadawi

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Silas Weir Mitchell

26 Charlotte Wolff
Charlotte Wolff

Wolf-Ausst-2.tif
Friedrich Wolf

Sauerbruch an der Charité

Und du hast ihnen alles gegeben: Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben.

                                                                                               HANNES WADER NACH ERIC BOGLE

Charite Flyer

W. U. Eckart: …“die frühe Verstrickung des Chirurgen in
die nationalsozialistische Ideologie…“ (s.u.)

Nach Christian Hardinghaus kann jedoch Ferdinand Sauerbruch trotz der medizinhistorischen Forschungsergebnisse Prof. W. U. Eckarts allein aufgrund seiner eigenen Recherchen und Annahmen durchaus „rehabilitiertwerden. Auf dieses überraschende Ergebnis stützt sich auch die 2. Staffel des Charité-Films, der auf das Thema der gutachterlichen Verstrickung Sauerbruchs in die NS-Medizin und KZ-Menschenversuche nur flüchtig eingeht. Hier nun Originalzitate aus der Vorlage von Hardinghaus:

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Die neue Version des Christian Hardinghaus kommt zu folgendem Ergebnis:

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hat. Wusste Sauerbruch aber nichts von den KZ-Versuchen, die er eigenhändig genehmigte? Dies wird von Hardinghaus merkwürdigerweise verneint:

Der KZ-Arzt Mengele sei etwa gebeten worden, „im Todesfalle eines bestimmten Zwillingspärchens,“ das er zu Dokumentationszwecken

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Fazit des Versuchs einer Rehabilitierung durch Hardinghaus.

Mit der Ambivalenz der Person Sauerbruch beschäftigt sich die Ausstellung „Auf Messers Schneide“, zu sehen ab dem 22.03. im Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité.

12. Kapitel: Arzttum – Dichtertum–Kämpfertum:

Sanitätsoffiziere und Dichter, Dichterinnen und Ärztinnen an der Front

(Ärzte, Dichter und Rebellen auf Seite 166):

Es gab an der Charité  den Chirurgen Ferdinand Sauerbruch, der nicht als Dichter oder Rebell, sondern als „großer Arzt“ galt. Nach ihm ist eine kleine Straße an der Charité benannt.

Sauerbruch unterzeichnete in der NS-Zeit einen unmissverständlichen Aufruf „An die Ärzteschaft der Welt“ (1933):

„DER WELT ZEIGEN, DASS DEUTSCHLAND ERWACHT IST!“

Er war der Protagonist einer fiktiven „Autobiographie“ und zugleich Titelheld des Spielfilms „Sauerbruch – das war mein Leben“ (1954).

Im letzten Viertel seines wahren Lebens
hatte dieser akademische Lehrer, der, wie es hieß,
mit ganzem Herzen Chirurg gewesen war
eine Doppelrolle gespielt:
Er trug seinen Chefvisitenmantel – halbgeschlossen
– über der Generalsuniform… (s. Abb.) :

22 Sauerbruch-1943

In: Karl F. Masuhr: Ärzte, Dichter und Rebellen. Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 2018

 

W. U. Eckart: …“die frühe Verstrickung des Chirurgen in die nationalsozialistische Ideologie…“

Sauerbruch NS 1

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Es gab noch andere berühmte Ärzte an der Charité:

Handschuh als poetische Metapher

 

Da Schau, sie stützt die Wange auf die Hand!
O, wär’ ich nur der Handschuh dieser Hand
Und dürft’ die Wange streicheln

                                  WILLIAM SHAKESPEARE

 

Eins der schönsten Gedichte von John Keats richtet sich aus poetischer Distanz an eine
Unbekannte:

An eine Dame

(flüchtig gesehen in Vauxhall)

Time’s sea hath been five years at its slow ebb,
Long hours have to end and fro let creep the sand,
Since I was tangled in the beauty‘s web,
And snared by the ungloving of thy hand.

Fünf Jahre ebbt das träge Meer der Zeit,
Und langsam rann der feine Stundensand,
Seit du den Handschuh zogst von weißer Hand
Und ich mich fing in deiner Lieblichkeit.

 

Der glückliche Augenblick einer Begegnung dehnt sich auf Jahre und täg-
lich gezählte Stunden aus. Es ist „das träge Meer der Zeit“ im Wechsel der
Gezeiten.  Während  der  reale  Hintergrund  verschwimmt,  entwickelt  sich
ein scharfes Erinnerungsbild, das von der flüchtig beobachteten Szene zu
Erlebnis  anwächst.  Da  der  abgestreifte Handschuh – glove – sich leicht
auf love reimen ließe, könnte die Geste  der  fremden  Frau  ein  minimales
Entgegenkommen  und  damit  den Beginn einer Liebesbegegnung anzeigen.

Die Ärztin Elizabetha Polonskaja (S. 88) legte sich den Namen ihres Geliebten zu, ohne mit ihm Hochzeit zu feiern.
Was ihr blieb, war ein Traum synästhetischer Wahrnehmung:

Als du mich verlassen hast und meinen Handschuh geküsst,  
kaufte ich einer alten Frau auf der Straße einen Traum ab, 
einen azurblauen Traum, giftig und süß
wie der Klang linder Märzenluft. 

Wie bei Keats und Schiller ist es wieder ein Frauenhandschuh, der nun aber
im Augenblick des Abschieds die Hand verhüllt. Bei Büchner und Tschechow
sind  es  die  weißen  Handschuhe  der  starken  Männer,  die  Herren  genannt
werden, bei Schnitzler Damen- und Herrenhandschuhe in allen Farben.

z.B. bei Georg Büchner:
Einer fremden inneren Stimme folgend, ersticht Woyzec seine Geliebte. Sie hat ihn mit dem Tambourmajor betrogen, diesem starken Kerl mit weißen Handschuhen .. S. 59

 

 

 

cropped-signatur-pg.pngHandschuhe im Register

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Der  Urwaldarzt  Albert  Schweitzer  (1875–1965)  verfasste Selbstzeugnisse,    die  eine  interessante  Ergänzung  seiner  theologischen  Schriften   darstellen.  Mit  seiner  Forderung nach Ehrfurcht vor dem Leben gewann er weltweitesAnsehen, zumal er  mit seiner Devise auf ebenso magische wie menschliche Weise die Begriffe „Furcht“ und „Ehre“ miteinander und mit dem  neuen  Gebot  der  Ehrfurcht vor  allen  Lebewesen  verband.

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Albert Schweitzer 1875-1965

In  der  Renaissance- Literatur  begegnet  man  dem  Ordensmann,  Arzt  und  Dichter Francois  de  Rabelais (geboren  1483  oder  1494),  einem  berühmten Wortkünstler. Er  soll  wegen  seiner  satirischen  und  ketzerischenSchriften  gelegentlich gescholten,  verboten  und  eingesperrt  worden  sein.


Der französische  Schriftsteller  Georges  Duhamel war
Sanitätsoffizier im I. Weltkrieg. Sein wichtigstes Werk trägt den
Titel Civilisation (1918). Er sieht die Zivilisation „in den Herzen
der Menschen“ begründet. Er wurde  Mitglied  der  Académie 
francaise (1935) und stand der Résistance nahe.

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Georges Duhamel (1884-1966)

Der Schriftsteller und Arzt Jean-Paul Marat, ein Anführer und
Opfer der Französischen Revolution, verfasste neben politischen und  naturwissenschaftlichen  Schriften  den  Abenteuer- und Liebesroman
Aventures du jeune Comte Potowski. Un Roman de Cœur (1771),
der jedoch erst posthum 1848 erschien. 

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Jean Paul Marat (1743-1793)




Louis-Ferdinand Céline (Reise ans Ende der Nacht, 1932) verstand als Armenarzt besonders die einfache Sprache,  die  sie  im  Umgang  mit  den  Kranken  lernte   und  der  Leserschaft  vermittelte. Er war  ein  Kollaborateur  des Vichy-Regimes  und nur  knapp  einem  Attentat  der  Résistance entgangen, in  Abwesenheit  zum  Tod  verurteilt und  nach  dem  Krieg  begnadigt worden.

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Louis-Ferdinand Céline 1894-1961
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s.a. Doctors, poets and rebels

und English speaking writers

English speaking poets – working as doctors

The book introduces 53 poets, doctors, rebels, for example, Francois de Rabelais and Johann Christian Günther, John Keats, Silas Weir  Mitchell, Arthur  Conan  Doyle and William  Carlos  Williams, Archibald  Joseph  Cronin William Somerset Maugham, Richard  Selzer, Alfred Döblin, Rainald Goetz and Jon A. Mukand. In the 20th century, poets and doctors like Harriet Straub, Charlotte Wolff and Hertha Nathorff, who were engaged in the Women’s movement, joined them. These writers have a unique sensorium to perceive what might be significant for them as doctors and poets, what art and medicine are about, and what effects their lives because it affects them. Whichever observations and adventures they transform into literature: it is the medical work that provides experiences about life and pain.

English speaking poets working as doctors

Der  Londoner  Wundarzt und  Lyriker John  Keats  (1795–1821),  pflegte  als
15- Jähriger  ein  Jahr  lang  seine  Mutter,  bis  sie  an  Tuberkulose  starb.
Drei Jahre  nach  dem  Tod  seines  jüngeren Bruders  Tom,  den  er  ebenfalls
wegen  „Phthise“  betreut  hatte, erlag  auch  er,  25-jährig  dieser Krankheit. Als exakter Diagnostiker hatte er weder die Erwartung an
ein langes  Dichterdasein noch romantische  Vorstellungen  von  einem  Leben mit der geliebten Fanny Brawn haben können.
1819  fand  die  Verlobung  statt,  1820  nahm  er  Abschied
von  Fanny,  wohl  wissend,  dass  er  sie  nicht  wiedersehen  würde.
Am  23. Februar 1821 starb er in Rom, Piazza di Spagna Nr. 26.

A thing of beauty is a joy for ever: […]  
and so live ever – or else swoon to death.  
Wo Schönheit ist, ist Freude auch für immer:  […] 
So ewig leben – sonst im Tod vergehen!  

Keats
John Keats (1795-1821)


 

 

William  Carlos  Williams  bekannte,  dass  er  von  der  „Medizin  als
Kunst“, mit  Ausnahme  der  Neurophysiologie,  keineswegs  fasziniert  ge-
wesen sei.  Er habe Arzt werden wollen, weil er entschlossen gewesen sei,
Dichter zu werden. Diese Paradoxie ist, wie sich immer wieder zeigt, ty-
pisch  für  die  berufliche  Motivation  schreibender  Mediziner  und  Medizi-
nerinnen. Williams begründete seinen „Plan“ wiederum nicht ohne Pathos: „Ich  würde  leben:  dies  zuerst,  und  schreiben,  bei  Gott,  wie  ich es
wollte, und wenn es die gesamte Ewigkeit brauchen würde, meinen
Plan auszuführen.“

William Carlos Williams

William Carlos William, Arzt und yriker (1883-1963)

 


 

Jon Avin Mukand, Arztsohn und Orthopäde aus Boston, behan-
delt  in  seinen  Gedichten  und  Prosatexten  medizinisch-wissen- schaftliche Themen. In dem Buch The Man with the Bionic Brain 
And Other Victories over Paralysis (2002) geht es um die intraze-
rebrale  Steuerung  von  Bewegungen  durch  Gedanken.  Seine
Gedichte  erscheinen  in  den  Anthologien  Sutured  Words:  Con- tempory poetry about medicine (1978) und Articulations: The Body and  Illness  in  Poetry  (1994). 

Someday, I will hear the tabla, whose rhythm
no EKG can capture and no cardiologist
can interpret. The music will
take me back to the lotus pond
our old home in the village of Sultanpur:
then, I will drift away on the fallen petals.

Mukand
Jon Mukand, Arzt und Lyriker *1959

 


 

Der  Neurologe  und  Schriftsteller  Silas Weir  Mitchell  (1829–1914)
schrieb  psychologische  Kurzgeschichten  und  historische  Romane,  aber
auch 150 medizinische Artikel, hauptsächlich über Blood and Fat, Neuras- 
thenie und Nervenverletzungen: Injuries of Nerves and their consequences.
Er  setzte  erstmals  Massagen  als  Heilmittel  ein.  Seine  teils  sanfte,  teils
rigorose Rest CureTherapy schrieb den Kranken strenge Diät bei sechswö-
chiger Bettruhe vor. Während des amerikanischen Bürgerkriegs war er in Philadelphia ärztlich tätig.
Als Schmerzforscher prägte Mitchell die Begriffe Phantomglied und Kausal- 
gie.

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Silas Weir Mitchell  (1829-1914)


 

 

Sir  Arthur  Conan  Doyle (1859–1930)
wurde für seine Berichte über den Burenkrieg geadelt. Der Sanitätsoffizier genoss
diese Ehrung, aber viel mehr noch den Welterfolg seiner Kriminal-
romane. Ein Blick auf Werk und Vita lässt erkennen, dass ein scharfsinnig
beobachtender  und  logisch  kombinierender  Mediziner  durchaus  zum
Amateurdetektiv  taugt.  Sein  Alter  Ego  war  Doktor  John  Watson,  der  ge-
lehrige  Mitarbeiter  und  einzige  Freund  des  unübertrefflichen  Sherlock
Holmes
.

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        Arthur Conan Doyle  (1859-1930)

 


Archibald  Joseph  Cronin  praktizierte  im  Bergbaugebiet  von
Wales  und  berichtete  über  das  Elend  der  Grubenarbeiter.  Der  kritische
Arztroman Die Zitadelle (1937) wurde sein größter Erfolg.        Er schilderte sein Leben nicht ohne Pathos wie ein Abenteuer in
zwei Welten. Anders als die von ihm geliebte ärztliche Tätigkeit
sei die Schriftstellerei für ihn eine „Höllenqual“ gewesen.  

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          Archibald J. Cronin  (1896-1981)


 

        Richard  Selzer,  Professor  für  Chirurgie  an  der  Yale  University,
war Sohn eines Allgemeinmediziners, den er oft bei Krankenbesuchen –      begleitet  hatte.  Als  der  Vater  starb,  war  er  12  Jahre  alt.  Die
Mutter,  eine  Sopranistin,  riet  ihm  zum  Beruf  des  Schriftstellers.
Er  wollte  aber  Arzt  und  Dichter  werden  und  behauptete  später,
Medizin  und  Literatur  als  „combined  power“  hätten  ihn  davor
bewahrt, einen frühen Tod nach einem unglücklichen Leben erleiden
zu  müssen  (1980).    Er  schrieb  Letters  to  a  Young  Doctor 
(1982) und  The  Doctors  Stories  (1998),  Weitere  Texte  sind  The
Exact Location of the Soul: New and Selected Essays (2001) und ein
Essay Feder und Scalpel (1988), in dem er  feststellt:

Der Arzt geht täglich in einem Dutzend Kurzgeschichten 
ein und aus.

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Oliver  Sacks entstammte  einer  Londoner  Arztfamilie  und  ent-
schied  sich  für  das  Medizinstudium,  um  Neurologe  zu  werden.
Sein  Vater  war  als  Landarzt,  die  Mutter  als  Chirurgin  tätig.
Sacks veröffentlichte  Fallstudien,  die  er  meistens  aus  seiner  klinisch-neurologischen  Erfahrung  und  manchmal  auch  aus  eige-
nem Kranksein schöpft: Awakenings – Zeit des Erwachens (1990)
basiert auf seinen Verlaufsbeobachtungen an chronisch Kranken  mit  postenzephalitischem  Parkinson-Syndrom.  A  Leg  to  Stand   On – Der Tag, an dem mein Bein fortging (1989) ist ein autobiographischer
Unfallbericht.
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              Oliver Sacks (1933-2015)


Francis  Brett  Young entstammte  väterlicher-  und  mütterlicher-
seits  einer  Arztfamilie.    Nach  dem Medizinstudium  in  Birmingham  verdiente  er  als
Schiffsarzt den Grundstock für seine Praxis. Während des Mili-
tärdienstes  in  Südafrika  (1918)  wurde  er  so  schwer  verwundet,
dass  er  den  Arztberuf  nicht  mehr  ausüben  konnte.  Er  schrieb
Gedichte: Poems (1916–1918) und die epischen Verse The Island  (1944),
daneben  den  Essay  In  South  Afrika  (1925),  vor  allem  aber  40  Romane  wie  zum  Beispiel  Der  junge  Arzt  (1919),
Mein  Bruder Jonathan (1928) und Wistanslow (1956).

 Francis Brett Young

  Francis Brett Young (1848-1954)


Vor 100 Jahren meinte William Somerset Maugham, er kenne „keine bessere
Schulung für den Schriftsteller“, als einige Jahre lang den ärztlichen Beruf auszuüben.
Der  Novellist und  Dramatiker  wurde  Arzt,  „um  den  Menschen ohne Maske“ zu studieren.  Er schilderte seine Erfahrungen als Armenarzt,  die  einen  Teil  der Leserschaft
schockierten. Während der russischen  Revolution  hatte  er  als  Geheimagent  seiner  Majestät  ein  riskantes  Doppelleben geführt:
Maugham  konnte  nicht  nur  als  Arzt,  sondern  auch  als  Diplomat  ver- schwiegen  sein,  im  Übrigen  nur  stotternd  sprechen,  aber  gut  lesbar
schreiben.  Er  verfasste  den  autobiographischen  Roman:
Des  Menschen  Hörigkeit (Of Human Bondage, 1915), die Lebensgeschichte
eines behinderten Arztes.

  William  Somerset Maugham (1874-1965)


 

 

 


 

s. a. Doctors, poets and rebels

 



 

 

 


 

Eltern-Gedicht (Julia Engelmann)

 

 

 

Julia Engelmann wurde 1992 geboren und wuchs in Bremen auf. Schon früh nahm sie an Poetry Slams teil. Ein Video ihres Vortrags »One Day« beim Bielefelder Hörsaal-Slam wurde zum Überraschungshit im Netz und bisher millionenfach geklickt, gelikt und geteilt. Neben dem Slammen gilt ihre Leidenschaft der Musik. Ihre Poetry-Bücher, darunter »Eines Tages, Baby«, sind Spiegel-Bestseller.

Julia Engelmann
Julia Engelmann, Poetry Slam

Die im letzten Jahrhundert gegen den Wind gesungenen Protestlieder, wie zum Beispiel The Times They are A-Changin, wurden durch den Literaturnobelpreis 2016 veredelt. Es sind aber nicht nur Liedtexte, sondern auch Sprechgesänge, Poetry Slam-Vorträge und ganz textfreie Techno-Rhythmen, die derzeit Menschenmengen in Rauschzustände versetzen. Abertausende Jugendliche harren dicht beieinander aus, halten sich aufrecht – in endloser Standing Ovation – und recken die Arme bis hinauf zu den Pop- und Punk-Rockern oder Hip-Hop-Rappern.

I stand here, a manifestation of love and pain, With veins pumping revolution.

Ganz anders verhält sich das in großen Konzerthallen sitzende ältere Publikum. Es klatscht und nickt im Viervierteltakt volkstümlicher Musik, ein wirklich harmloses Vergnügen? (s. Prolog von Ärzte, Dichter und Rebellen)

 

Vatergedichte 1

Über: Franz Kafka, Johann Christian Günther, Mori Ogai, Kobo Abe,Morio Kita, Arthur Schnitzler, Antonio Lobo Antunes, Gottfried Benn und Andrew Hudgins.

 

„Zwei große „Briefe an den Vater“ kennt die deutsche Literatur. Beide sind erschütternd, und beide sind Zeugnisse nicht nur eines Lebens, sondern auch einer Epoche. Kafkas berühmtes Schreiben kennt jeder. Doch wer weiß etwas von Johann Christian Günthers Gedicht? […] Über mehr als 18 Seiten ziehen sich diese Verse hin, in denen ein großer Dichter seinen Vater um Versöhnung, Liebe und Verständnis anfleht – um einmal mehr schroff abgewiesen zu werden. Ein deutsches Trauerspiel.“    PETER VON MATT


Dazu in Ärzte, Dichter und Rebellen (S. 196):
Ein von dem Arzt und Dichter Johann Christian Günther verfasstes, 18 Seiten langes Gedicht, das an den „redlichen und treuen“ Vater gerichtet war, blieb unbeantwortet, weil dieser sich vergeblich den Sohn als Nachfolger in seiner Arztpraxis gewünscht und aus Enttäuschung über dessen lockeres Dichterleben allen Versöhnungsversuchen widersprochen hatte. Vier Zeilen des Gedichts an den Vater belegen, dass sich der Dichter damit abfand:

So ist doch nichts umsonst geschrieben;
Die Welt erfährt den treuen Sinn,
Womit ich dir ergeben bin,
Du magst mich hassen oder lieben.


Analysiert man die Biographien der japanischen Arztsöhne Mori Ogai, Kobo Abe und Morio Kita, die zugleich Ärzte und Dichter waren, so scheint angesichts des väterlichen Vorbilds ein großer Respekt vor der Ausübung des ärztlichen Berufs zu herrschen. Demgegenüber folgten die dichtenden Arztkinder westlicher Länder nicht immer dem Rat ihrer Eltern, wie zum Beispiel Arthur Schnitzler und Antonio Lobo Antunes, die sich nolens volens für eine Kooperation mit ihren Vätern und zur Ausübung derselben klinischen Tätigkeit entschieden hatten. (S. 198)


Einige Autoren pflegen einen unversöhnlichen Umgang mit den Vätern. Der Pastorensohn Gottfried Benn hatte aggressive Verse gegen seinen Vater gerichtet und war im Affekt bis zur virtuellen Kastration gegangen:

Verfluchter alter Abraham
Zwölf schwere Plagen Isaake
Haun dir mit der Nudelhacke
den alten Zeugeschwengel lahm.

 

 


Gottfried Benn

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In letzter Zeit pflegen einige Autoren ebenfalls einen unversöhnlichen Umgang mit den Vätern. Die Rolle des Erzeugers kann nicht mehr überzeugend gespielt werden. In dem Gedicht Playing Dead sieht sich ein alter Mann genötigt, vom Playing Dad zum Playing Dead zu wechseln. (Andrew Hudgins: Playing Dead. Poetry Magazine Chicago. July 2005, S. 287)  Es ist eine besonders brutale ödipale Szene: Der Vater rettet sich in einen Totstellversuch, wird aber von dem Sohn in affektgeladener Attitude bis zur „Wiederauferstehung“, „like Jesus“, reanimiert, d.h. der Vater fährt in die Höhe, als der Sohn ihm einen Schlag in die „Juwelen“ versetzt.
Versöhnlicher klingt ein Gedicht mit dem Titel Playing Dead, das dem Vater und seinen Lieben empfiehlt, nachts im Garten bis zum Weckruf – wie tot – zu schlafen.

 

zu Vatergedichte 2

In memoriam Nicolas Born (31.12.1937 – 7.12.1979)

Born Nicolas
Nicolas Born

 

IM INNERN DER GEDICHTE

Du kannst nicht davon leben
mit der Wirklichkeit zu konkurrieren
noch kannst du von der Wirklichkeit leben
aber du kannst einen Eingriff überleben
und alles zurück kriegen
und durch Das Leben gehen
durch schnell verfallende Bilder
das warst du
du und Das Werdende Leben
Personen keuchend unter ihren Grabsteinen
Mit einer ungeheuren Anstrengung
von dir und allen Vorfahren
blendest du dich aus
Land und Wasser sind geblieben
der Himmel ist geblieben
und du bist geblieben
du hast dich auf nichts einzurichten
kleine Sonnen erleuchten deine Demokratie
Und du wählst das Leben und den Tod
du hast viele Schöne Stimmen
du bist Viele
deine Haut ist deine Haut Und endlich
nichts als Haut
du bist der Unternehmer des Lebens
der Veranstalter weißer Erscheinungen
du bist der RaumMensch im Freien
der Autor des Laufs der Geschichte
du bist imstande Zeit zu drucken wie Bücher
du wiegst und siebst und liebst Und im Wind
wehen die Ruinen der Diktatmaschinen
die Unvernunft steht in voller Blüte
du bist die Blüte und die Unvernunft
du bist Tag und Nacht bei Tag und Nacht
du bist der Mörder
kreisend in der eigenen Blutbahn
du bist Vater und Sohn
du bist der ausgeschlachtete Indianer
und der registrierte Indianer
du bist alle Farben und Rassen
du bist die Witwen und Waisen
du bist die Rebellion der Gefangenen
du bist Geheul ohne Aufenthalt
Messerwürfe Schüsse
du bist der phantastische Sportler der TraumMeilen
der Bildersturm im Haupt der Demokratie
du bist der Sprengmeister aller Ketten
du bist die geheim leuchtende Parole
die Banderole
die Avantgarde der FreiKüchen
du bist Mensch Und
Tier wenn es den Tod fühlt
du bist allein und du bist Alle
du bist dein Tod und du bist der Große Wunsch
du bist der Plan den du ausbreitest Und
du bist dein Tod

s.a. https://de.wikipedia.org/wiki/Nicolas_Born

Nicolas-Born-Preis 2018