

Auszug aus der Rede Prof. Kahlkes auf dem 119. Ärztetag

Prof. Dr. med. Winfried Kahlke
Ehrenpräsident des 119. Deutschen Ärztetages
Auszug aus der Rede Prof. Kahlkes auf dem 119. Ärztetag
Prof. Dr. med. Winfried Kahlke
Ehrenpräsident des 119. Deutschen Ärztetages
Friedrich Schiller, Georg Büchner und Arthur Schnitzler geben die Richtung des Diskurses an, in dem sich der angesehene Neurologe Dr. Karl F. Masuhr unter anderem mit den psychosomatischen Aspekten des Wirkens von über 50 Autorinnen und Autoren beschäftigt. Viele haben einschneidende Erlebnisse gemeinsam, wie die Teilnahme an Kriegen mit andauernden Folgen auch für das literarische Schaffen. Von Friedrich Wolf, als Teilnehmer an zwei Weltkriegen sind viele Zeugnisse der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse erhalten wie die Erzählungen „Langemark“ und „Der Sprung durch den Tod“, das Poem „Was taten wir“ oder in Vorausschau der menschengemachten Katastrophe „Professor Mamlock“. Die genaue Kenntnis sozialer Verhältnisse fließt auch in „Cyankali“ ein. Das Stück gegen den Abtreibungsparagrafen 218 bringt ihn ins Gefängnis, wo er an Asthmaanfällen leidet, wie andere Literaten unter ähnlichen Umständen. Die Rebellion der Kindheit gegen den übermächtigen Vater und den Drill in der Schule sowie das innige Verhältnis zu Mutter und Großmutter sind als prägende Einflüsse ebenfalls im Blickpunkt des Neurologen.
(Paul Werner Wagner, Vorsitzender der Friedrich-Wolf-Gesellschaft)
Link zum Verlag K&N:
siehe auch Rezensionen und Reaktionen
Und du hast ihnen alles gegeben: Deine Kraft, Deine Jugend, Dein Leben.
HANNES WADER NACH ERIC BOGLE
Sanitätsoffiziere und Dichter, Dichterinnen und Ärztinnen an der Front
(Ärzte, Dichter und Rebellen auf Seite 166):
In: Karl F. Masuhr: Ärzte, Dichter und Rebellen. Verlag Königshausen und Neumann, Würzburg 2018
Da Schau, sie stützt die Wange auf die Hand!
O, wär’ ich nur der Handschuh dieser Hand
Und dürft’ die Wange streicheln
WILLIAM SHAKESPEARE
Eins der schönsten Gedichte von John Keats richtet sich aus poetischer Distanz an eine
Unbekannte:
An eine Dame
(flüchtig gesehen in Vauxhall)
Time’s sea hath been five years at its slow ebb,
Long hours have to end and fro let creep the sand,
Since I was tangled in the beauty‘s web,
And snared by the ungloving of thy hand.
Fünf Jahre ebbt das träge Meer der Zeit,
Und langsam rann der feine Stundensand,
Seit du den Handschuh zogst von weißer Hand
Und ich mich fing in deiner Lieblichkeit.
Der glückliche Augenblick einer Begegnung dehnt sich auf Jahre und täg-
lich gezählte Stunden aus. Es ist „das träge Meer der Zeit“ im Wechsel der
Gezeiten. Während der reale Hintergrund verschwimmt, entwickelt sich
ein scharfes Erinnerungsbild, das von der flüchtig beobachteten Szene zu
Erlebnis anwächst. Da der abgestreifte Handschuh – glove – sich leicht
auf love reimen ließe, könnte die Geste der fremden Frau ein minimales
Entgegenkommen und damit den Beginn einer Liebesbegegnung anzeigen.
Die Ärztin Elizabetha Polonskaja (S. 88) legte sich den Namen ihres Geliebten zu, ohne mit ihm Hochzeit zu feiern.
Was ihr blieb, war ein Traum synästhetischer Wahrnehmung:
Als du mich verlassen hast und meinen Handschuh geküsst,
kaufte ich einer alten Frau auf der Straße einen Traum ab,
einen azurblauen Traum, giftig und süß
wie der Klang linder Märzenluft.
Wie bei Keats und Schiller ist es wieder ein Frauenhandschuh, der nun aber
im Augenblick des Abschieds die Hand verhüllt. Bei Büchner und Tschechow
sind es die weißen Handschuhe der starken Männer, die Herren genannt
werden, bei Schnitzler Damen- und Herrenhandschuhe in allen Farben.
Der Urwaldarzt Albert Schweitzer (1875–1965) verfasste Selbstzeugnisse, die eine interessante Ergänzung seiner theologischen Schriften darstellen. Mit seiner Forderung nach Ehrfurcht vor dem Leben gewann er weltweitesAnsehen, zumal er mit seiner Devise auf ebenso magische wie menschliche Weise die Begriffe „Furcht“ und „Ehre“ miteinander und mit dem neuen Gebot der Ehrfurcht vor allen Lebewesen verband.
Albert Schweitzer 1875-1965
In der Renaissance- Literatur begegnet man dem Ordensmann, Arzt und Dichter Francois de Rabelais (geboren 1483 oder 1494), einem berühmten Wortkünstler. Er soll wegen seiner satirischen und ketzerischenSchriften gelegentlich gescholten, verboten und eingesperrt worden sein.
Der französische Schriftsteller Georges Duhamel war
Sanitätsoffizier im I. Weltkrieg. Sein wichtigstes Werk trägt den
Titel Civilisation (1918). Er sieht die Zivilisation „in den Herzen
der Menschen“ begründet. Er wurde Mitglied der Académie
francaise (1935) und stand der Résistance nahe.
Der Schriftsteller und Arzt Jean-Paul Marat, ein Anführer und
Opfer der Französischen Revolution, verfasste neben politischen und naturwissenschaftlichen Schriften den Abenteuer- und Liebesroman
Aventures du jeune Comte Potowski. Un Roman de Cœur (1771),
der jedoch erst posthum 1848 erschien.
Jean Paul Marat (1743-1793)
Louis-Ferdinand Céline (Reise ans Ende der Nacht, 1932) verstand als Armenarzt besonders die einfache Sprache, die sie im Umgang mit den Kranken lernte und der Leserschaft vermittelte. Er war ein Kollaborateur des Vichy-Regimes und nur knapp einem Attentat der Résistance entgangen, in Abwesenheit zum Tod verurteilt und nach dem Krieg begnadigt worden.
The book introduces 53 poets, doctors, rebels, for example, Francois de Rabelais and Johann Christian Günther, John Keats, Silas Weir Mitchell, Arthur Conan Doyle and William Carlos Williams, Archibald Joseph Cronin, William Somerset Maugham, Richard Selzer, Alfred Döblin, Rainald Goetz and Jon A. Mukand. In the 20th century, poets and doctors like Harriet Straub, Charlotte Wolff and Hertha Nathorff, who were engaged in the Women’s movement, joined them. These writers have a unique sensorium to perceive what might be significant for them as doctors and poets, what art and medicine are about, and what effects their lives because it affects them. Whichever observations and adventures they transform into literature: it is the medical work that provides experiences about life and pain.
English speaking poets working as doctors
Der Londoner Wundarzt und Lyriker John Keats (1795–1821), pflegte als
15- Jähriger ein Jahr lang seine Mutter, bis sie an Tuberkulose starb.
Drei Jahre nach dem Tod seines jüngeren Bruders Tom, den er ebenfalls
wegen „Phthise“ betreut hatte, erlag auch er, 25-jährig dieser Krankheit. Als exakter Diagnostiker hatte er weder die Erwartung an
ein langes Dichterdasein noch romantische Vorstellungen von einem Leben mit der geliebten Fanny Brawn haben können.
1819 fand die Verlobung statt, 1820 nahm er Abschied
von Fanny, wohl wissend, dass er sie nicht wiedersehen würde.
Am 23. Februar 1821 starb er in Rom, Piazza di Spagna Nr. 26.
A thing of beauty is a joy for ever: […]
and so live ever – or else swoon to death.
Wo Schönheit ist, ist Freude auch für immer: […]
So ewig leben – sonst im Tod vergehen!
William Carlos Williams bekannte, dass er von der „Medizin als
Kunst“, mit Ausnahme der Neurophysiologie, keineswegs fasziniert ge-
wesen sei. Er habe Arzt werden wollen, weil er entschlossen gewesen sei,
Dichter zu werden. Diese Paradoxie ist, wie sich immer wieder zeigt, ty-
pisch für die berufliche Motivation schreibender Mediziner und Medizi-
nerinnen. Williams begründete seinen „Plan“ wiederum nicht ohne Pathos: „Ich würde leben: dies zuerst, und schreiben, bei Gott, wie ich es
wollte, und wenn es die gesamte Ewigkeit brauchen würde, meinen
Plan auszuführen.“
William Carlos William, Arzt und yriker (1883-1963)
Jon Avin Mukand, Arztsohn und Orthopäde aus Boston, behan-
delt in seinen Gedichten und Prosatexten medizinisch-wissen- schaftliche Themen. In dem Buch The Man with the Bionic Brain
And Other Victories over Paralysis (2002) geht es um die intraze-
rebrale Steuerung von Bewegungen durch Gedanken. Seine
Gedichte erscheinen in den Anthologien Sutured Words: Con- tempory poetry about medicine (1978) und Articulations: The Body and Illness in Poetry (1994).
Someday, I will hear the tabla, whose rhythm
no EKG can capture and no cardiologist
can interpret. The music will
take me back to the lotus pond
our old home in the village of Sultanpur:
then, I will drift away on the fallen petals.
Der Neurologe und Schriftsteller Silas Weir Mitchell (1829–1914)
schrieb psychologische Kurzgeschichten und historische Romane, aber
auch 150 medizinische Artikel, hauptsächlich über Blood and Fat, Neuras-
thenie und Nervenverletzungen: Injuries of Nerves and their consequences.
Er setzte erstmals Massagen als Heilmittel ein. Seine teils sanfte, teils
rigorose Rest CureTherapy schrieb den Kranken strenge Diät bei sechswö-
chiger Bettruhe vor. Während des amerikanischen Bürgerkriegs war er in Philadelphia ärztlich tätig.
Als Schmerzforscher prägte Mitchell die Begriffe Phantomglied und Kausal-
gie.
Sir Arthur Conan Doyle (1859–1930)
wurde für seine Berichte über den Burenkrieg geadelt. Der Sanitätsoffizier genoss
diese Ehrung, aber viel mehr noch den Welterfolg seiner Kriminal-
romane. Ein Blick auf Werk und Vita lässt erkennen, dass ein scharfsinnig
beobachtender und logisch kombinierender Mediziner durchaus zum
Amateurdetektiv taugt. Sein Alter Ego war Doktor John Watson, der ge-
lehrige Mitarbeiter und einzige Freund des unübertrefflichen Sherlock
Holmes.
Arthur Conan Doyle (1859-1930)
Archibald Joseph Cronin praktizierte im Bergbaugebiet von
Wales und berichtete über das Elend der Grubenarbeiter. Der kritische
Arztroman Die Zitadelle (1937) wurde sein größter Erfolg. Er schilderte sein Leben nicht ohne Pathos wie ein Abenteuer in
zwei Welten. Anders als die von ihm geliebte ärztliche Tätigkeit
sei die Schriftstellerei für ihn eine „Höllenqual“ gewesen.
Archibald J. Cronin (1896-1981)
Richard Selzer, Professor für Chirurgie an der Yale University,
war Sohn eines Allgemeinmediziners, den er oft bei Krankenbesuchen – begleitet hatte. Als der Vater starb, war er 12 Jahre alt. Die
Mutter, eine Sopranistin, riet ihm zum Beruf des Schriftstellers.
Er wollte aber Arzt und Dichter werden und behauptete später,
Medizin und Literatur als „combined power“ hätten ihn davor
bewahrt, einen frühen Tod nach einem unglücklichen Leben erleiden
zu müssen (1980). Er schrieb Letters to a Young Doctor
(1982) und The Doctors Stories (1998), Weitere Texte sind The
Exact Location of the Soul: New and Selected Essays (2001) und ein
Essay Feder und Scalpel (1988), in dem er feststellt:
Der Arzt geht täglich in einem Dutzend Kurzgeschichten
ein und aus.
Oliver Sacks entstammte einer Londoner Arztfamilie und ent-
schied sich für das Medizinstudium, um Neurologe zu werden.
Sein Vater war als Landarzt, die Mutter als Chirurgin tätig.
Sacks veröffentlichte Fallstudien, die er meistens aus seiner klinisch-neurologischen Erfahrung und manchmal auch aus eige-
nem Kranksein schöpft: Awakenings – Zeit des Erwachens (1990)
basiert auf seinen Verlaufsbeobachtungen an chronisch Kranken mit postenzephalitischem Parkinson-Syndrom. A Leg to Stand On – Der Tag, an dem mein Bein fortging (1989) ist ein autobiographischer
Unfallbericht.
Oliver Sacks (1933-2015)
Francis Brett Young entstammte väterlicher- und mütterlicher-
seits einer Arztfamilie. Nach dem Medizinstudium in Birmingham verdiente er als
Schiffsarzt den Grundstock für seine Praxis. Während des Mili-
tärdienstes in Südafrika (1918) wurde er so schwer verwundet,
dass er den Arztberuf nicht mehr ausüben konnte. Er schrieb
Gedichte: Poems (1916–1918) und die epischen Verse The Island (1944),
daneben den Essay In South Afrika (1925), vor allem aber 40 Romane wie zum Beispiel Der junge Arzt (1919),
Mein Bruder Jonathan (1928) und Wistanslow (1956).
Francis Brett Young (1848-1954)
Vor 100 Jahren meinte William Somerset Maugham, er kenne „keine bessere
Schulung für den Schriftsteller“, als einige Jahre lang den ärztlichen Beruf auszuüben.
Der Novellist und Dramatiker wurde Arzt, „um den Menschen ohne Maske“ zu studieren. Er schilderte seine Erfahrungen als Armenarzt, die einen Teil der Leserschaft
schockierten. Während der russischen Revolution hatte er als Geheimagent seiner Majestät ein riskantes Doppelleben geführt:
Maugham konnte nicht nur als Arzt, sondern auch als Diplomat ver- schwiegen sein, im Übrigen nur stotternd sprechen, aber gut lesbar
schreiben. Er verfasste den autobiographischen Roman:
Des Menschen Hörigkeit (Of Human Bondage, 1915), die Lebensgeschichte
eines behinderten Arztes.
William Somerset Maugham (1874-1965)
s. a. Doctors, poets and rebels
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Julia Engelmann wurde 1992 geboren und wuchs in Bremen auf. Schon früh nahm sie an Poetry Slams teil. Ein Video ihres Vortrags »One Day« beim Bielefelder Hörsaal-Slam wurde zum Überraschungshit im Netz und bisher millionenfach geklickt, gelikt und geteilt. Neben dem Slammen gilt ihre Leidenschaft der Musik. Ihre Poetry-Bücher, darunter »Eines Tages, Baby«, sind Spiegel-Bestseller.
Die im letzten Jahrhundert gegen den Wind gesungenen Protestlieder, wie zum Beispiel The Times They are A-Changin, wurden durch den Literaturnobelpreis 2016 veredelt. Es sind aber nicht nur Liedtexte, sondern auch Sprechgesänge, Poetry Slam-Vorträge und ganz textfreie Techno-Rhythmen, die derzeit Menschenmengen in Rauschzustände versetzen. Abertausende Jugendliche harren dicht beieinander aus, halten sich aufrecht – in endloser Standing Ovation – und recken die Arme bis hinauf zu den Pop- und Punk-Rockern oder Hip-Hop-Rappern.
I stand here, a manifestation of love and pain, With veins pumping revolution.
Ganz anders verhält sich das in großen Konzerthallen sitzende ältere Publikum. Es klatscht und nickt im Viervierteltakt volkstümlicher Musik, ein wirklich harmloses Vergnügen? (s. Prolog von Ärzte, Dichter und Rebellen)
Über: Franz Kafka, Johann Christian Günther, Mori Ogai, Kobo Abe,Morio Kita, Arthur Schnitzler, Antonio Lobo Antunes, Gottfried Benn und Andrew Hudgins.
„Zwei große „Briefe an den Vater“ kennt die deutsche Literatur. Beide sind erschütternd, und beide sind Zeugnisse nicht nur eines Lebens, sondern auch einer Epoche. Kafkas berühmtes Schreiben kennt jeder. Doch wer weiß etwas von Johann Christian Günthers Gedicht? […] Über mehr als 18 Seiten ziehen sich diese Verse hin, in denen ein großer Dichter seinen Vater um Versöhnung, Liebe und Verständnis anfleht – um einmal mehr schroff abgewiesen zu werden. Ein deutsches Trauerspiel.“ PETER VON MATT
Dazu in Ärzte, Dichter und Rebellen (S. 196):
Ein von dem Arzt und Dichter Johann Christian Günther verfasstes, 18 Seiten langes Gedicht, das an den „redlichen und treuen“ Vater gerichtet war, blieb unbeantwortet, weil dieser sich vergeblich den Sohn als Nachfolger in seiner Arztpraxis gewünscht und aus Enttäuschung über dessen lockeres Dichterleben allen Versöhnungsversuchen widersprochen hatte. Vier Zeilen des Gedichts an den Vater belegen, dass sich der Dichter damit abfand:
So ist doch nichts umsonst geschrieben;
Die Welt erfährt den treuen Sinn,
Womit ich dir ergeben bin,
Du magst mich hassen oder lieben.
Analysiert man die Biographien der japanischen Arztsöhne Mori Ogai, Kobo Abe und Morio Kita, die zugleich Ärzte und Dichter waren, so scheint angesichts des väterlichen Vorbilds ein großer Respekt vor der Ausübung des ärztlichen Berufs zu herrschen. Demgegenüber folgten die dichtenden Arztkinder westlicher Länder nicht immer dem Rat ihrer Eltern, wie zum Beispiel Arthur Schnitzler und Antonio Lobo Antunes, die sich nolens volens für eine Kooperation mit ihren Vätern und zur Ausübung derselben klinischen Tätigkeit entschieden hatten. (S. 198)
Einige Autoren pflegen einen unversöhnlichen Umgang mit den Vätern. Der Pastorensohn Gottfried Benn hatte aggressive Verse gegen seinen Vater gerichtet und war im Affekt bis zur virtuellen Kastration gegangen:
Verfluchter alter Abraham
Zwölf schwere Plagen Isaake
Haun dir mit der Nudelhacke
den alten Zeugeschwengel lahm.
Gottfried Benn
In letzter Zeit pflegen einige Autoren ebenfalls einen unversöhnlichen Umgang mit den Vätern. Die Rolle des Erzeugers kann nicht mehr überzeugend gespielt werden. In dem Gedicht Playing Dead sieht sich ein alter Mann genötigt, vom Playing Dad zum Playing Dead zu wechseln. (Andrew Hudgins: Playing Dead. Poetry Magazine Chicago. July 2005, S. 287) Es ist eine besonders brutale ödipale Szene: Der Vater rettet sich in einen Totstellversuch, wird aber von dem Sohn in affektgeladener Attitude bis zur „Wiederauferstehung“, „like Jesus“, reanimiert, d.h. der Vater fährt in die Höhe, als der Sohn ihm einen Schlag in die „Juwelen“ versetzt.
Versöhnlicher klingt ein Gedicht mit dem Titel Playing Dead, das dem Vater und seinen Lieben empfiehlt, nachts im Garten bis zum Weckruf – wie tot – zu schlafen.
IM INNERN DER GEDICHTE
Du kannst nicht davon leben
mit der Wirklichkeit zu konkurrieren
noch kannst du von der Wirklichkeit leben
aber du kannst einen Eingriff überleben
und alles zurück kriegen
und durch Das Leben gehen
durch schnell verfallende Bilder
das warst du
du und Das Werdende Leben
Personen keuchend unter ihren Grabsteinen
Mit einer ungeheuren Anstrengung
von dir und allen Vorfahren
blendest du dich aus
Land und Wasser sind geblieben
der Himmel ist geblieben
und du bist geblieben
du hast dich auf nichts einzurichten
kleine Sonnen erleuchten deine Demokratie
Und du wählst das Leben und den Tod
du hast viele Schöne Stimmen
du bist Viele
deine Haut ist deine Haut Und endlich
nichts als Haut
du bist der Unternehmer des Lebens
der Veranstalter weißer Erscheinungen
du bist der RaumMensch im Freien
der Autor des Laufs der Geschichte
du bist imstande Zeit zu drucken wie Bücher
du wiegst und siebst und liebst Und im Wind
wehen die Ruinen der Diktatmaschinen
die Unvernunft steht in voller Blüte
du bist die Blüte und die Unvernunft
du bist Tag und Nacht bei Tag und Nacht
du bist der Mörder
kreisend in der eigenen Blutbahn
du bist Vater und Sohn
du bist der ausgeschlachtete Indianer
und der registrierte Indianer
du bist alle Farben und Rassen
du bist die Witwen und Waisen
du bist die Rebellion der Gefangenen
du bist Geheul ohne Aufenthalt
Messerwürfe Schüsse
du bist der phantastische Sportler der TraumMeilen
der Bildersturm im Haupt der Demokratie
du bist der Sprengmeister aller Ketten
du bist die geheim leuchtende Parole
die Banderole
die Avantgarde der FreiKüchen
du bist Mensch Und
Tier wenn es den Tod fühlt
du bist allein und du bist Alle
du bist dein Tod und du bist der Große Wunsch
du bist der Plan den du ausbreitest Und
du bist dein Tod
Buchpräsentation und Lektüreempfehlungen
»Schreiben bedeutet Spielen mit den Murmeln der Fantasie.« (Bettina Schott)
Ich, meine Gedichte und Italien
schreiben als antwort aufs schweigen