Da Schau, sie stützt die Wange auf die Hand!
O, wär’ ich nur der Handschuh dieser Hand
Und dürft’ die Wange streicheln
WILLIAM SHAKESPEARE
Eins der schönsten Gedichte von John Keats richtet sich aus poetischer Distanz an eine
Unbekannte:
An eine Dame
(flüchtig gesehen in Vauxhall)
Time’s sea hath been five years at its slow ebb,
Long hours have to end and fro let creep the sand,
Since I was tangled in the beauty‘s web,
And snared by the ungloving of thy hand.
Fünf Jahre ebbt das träge Meer der Zeit,
Und langsam rann der feine Stundensand,
Seit du den Handschuh zogst von weißer Hand
Und ich mich fing in deiner Lieblichkeit.
Der glückliche Augenblick einer Begegnung dehnt sich auf Jahre und täg-
lich gezählte Stunden aus. Es ist „das träge Meer der Zeit“ im Wechsel der
Gezeiten. Während der reale Hintergrund verschwimmt, entwickelt sich
ein scharfes Erinnerungsbild, das von der flüchtig beobachteten Szene zu
Erlebnis anwächst. Da der abgestreifte Handschuh – glove – sich leicht
auf love reimen ließe, könnte die Geste der fremden Frau ein minimales
Entgegenkommen und damit den Beginn einer Liebesbegegnung anzeigen.
Die Ärztin Elizabetha Polonskaja (S. 88) legte sich den Namen ihres Geliebten zu, ohne mit ihm Hochzeit zu feiern.
Was ihr blieb, war ein Traum synästhetischer Wahrnehmung:
Als du mich verlassen hast und meinen Handschuh geküsst,
kaufte ich einer alten Frau auf der Straße einen Traum ab,
einen azurblauen Traum, giftig und süß
wie der Klang linder Märzenluft.
Wie bei Keats und Schiller ist es wieder ein Frauenhandschuh, der nun aber
im Augenblick des Abschieds die Hand verhüllt. Bei Büchner und Tschechow
sind es die weißen Handschuhe der starken Männer, die Herren genannt
werden, bei Schnitzler Damen- und Herrenhandschuhe in allen Farben.

