Über: Franz Kafka, Johann Christian Günther, Mori Ogai, Kobo Abe,Morio Kita, Arthur Schnitzler, Antonio Lobo Antunes, Gottfried Benn und Andrew Hudgins.
„Zwei große „Briefe an den Vater“ kennt die deutsche Literatur. Beide sind erschütternd, und beide sind Zeugnisse nicht nur eines Lebens, sondern auch einer Epoche. Kafkas berühmtes Schreiben kennt jeder. Doch wer weiß etwas von Johann Christian Günthers Gedicht? […] Über mehr als 18 Seiten ziehen sich diese Verse hin, in denen ein großer Dichter seinen Vater um Versöhnung, Liebe und Verständnis anfleht – um einmal mehr schroff abgewiesen zu werden. Ein deutsches Trauerspiel.“ PETER VON MATT
Dazu in Ärzte, Dichter und Rebellen (S. 196):
Ein von dem Arzt und Dichter Johann Christian Günther verfasstes, 18 Seiten langes Gedicht, das an den „redlichen und treuen“ Vater gerichtet war, blieb unbeantwortet, weil dieser sich vergeblich den Sohn als Nachfolger in seiner Arztpraxis gewünscht und aus Enttäuschung über dessen lockeres Dichterleben allen Versöhnungsversuchen widersprochen hatte. Vier Zeilen des Gedichts an den Vater belegen, dass sich der Dichter damit abfand:
So ist doch nichts umsonst geschrieben;
Die Welt erfährt den treuen Sinn,
Womit ich dir ergeben bin,
Du magst mich hassen oder lieben.
Analysiert man die Biographien der japanischen Arztsöhne Mori Ogai, Kobo Abe und Morio Kita, die zugleich Ärzte und Dichter waren, so scheint angesichts des väterlichen Vorbilds ein großer Respekt vor der Ausübung des ärztlichen Berufs zu herrschen. Demgegenüber folgten die dichtenden Arztkinder westlicher Länder nicht immer dem Rat ihrer Eltern, wie zum Beispiel Arthur Schnitzler und Antonio Lobo Antunes, die sich nolens volens für eine Kooperation mit ihren Vätern und zur Ausübung derselben klinischen Tätigkeit entschieden hatten. (S. 198)
Einige Autoren pflegen einen unversöhnlichen Umgang mit den Vätern. Der Pastorensohn Gottfried Benn hatte aggressive Verse gegen seinen Vater gerichtet und war im Affekt bis zur virtuellen Kastration gegangen:
Verfluchter alter Abraham
Zwölf schwere Plagen Isaake
Haun dir mit der Nudelhacke
den alten Zeugeschwengel lahm.
Gottfried Benn

In letzter Zeit pflegen einige Autoren ebenfalls einen unversöhnlichen Umgang mit den Vätern. Die Rolle des Erzeugers kann nicht mehr überzeugend gespielt werden. In dem Gedicht Playing Dead sieht sich ein alter Mann genötigt, vom Playing Dad zum Playing Dead zu wechseln. (Andrew Hudgins: Playing Dead. Poetry Magazine Chicago. July 2005, S. 287) Es ist eine besonders brutale ödipale Szene: Der Vater rettet sich in einen Totstellversuch, wird aber von dem Sohn in affektgeladener Attitude bis zur „Wiederauferstehung“, „like Jesus“, reanimiert, d.h. der Vater fährt in die Höhe, als der Sohn ihm einen Schlag in die „Juwelen“ versetzt.
Versöhnlicher klingt ein Gedicht mit dem Titel Playing Dead, das dem Vater und seinen Lieben empfiehlt, nachts im Garten bis zum Weckruf – wie tot – zu schlafen.
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