Totstellversuche

Menschen wie tot oder untot: Playing dead

Totstellversuche

Am 7. Juli 2017 bot die Hamburger Kunst-Performance 1000 Gestalten einen stummen G-20-Protest von Untoten, die sich in zeitlupenartig verlangsamter Pantomime durch die Stadt bewegten.

Willem Thomson 1000 Gestalten.tif neu
Willem Thomson: 1000 Gestalten.
Film/ Roma
Totstellen im Roma-Film

Das weit verbreitete Phänomen zeigt sich im politischen Kontext, wenn Totstellversuche von großen Gruppen veranstaltet werden: Am Hiroshima-Tag liegen zahlreiche Aktivisten reglos auf der Straße vor dem Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien, um vor der Gefahr eines nuklearen Kriegs zu warnen. In letzter Zeit lagen Protestgruppen vor dem Weißen Haus und im Hambacher Forst.

Wenn Nero als Sänger auftrat, durfte niemand, auch nicht, wenn er zwingende Gründe hatte, das Theater verlassen. So sollen etliche Frauen während der Vorstellung Kinder geboren haben, und viele Männer, die von Gesang und bestelltem Beifall genug hatten, sprangen, da die Stadttore verriegelt waren, heimlich von der Mauer oder stellten sich tot und ließen sich wie zum Begräbnis hinaustragen. (GERHARD FINK)

Auch ein italienischer Filmklassiker (Don Camillos Rückkehr) enthält eine entsprechende Episode, in der sich ein alter Arzt totstellt. Während sein Nachfolger den Totenschein ausfüllt, genießt er mit unverhohlener Freude, wie sehr die Mitmenschen um ihn trauern.

Ob man es psychodynamisch oder neurobiologisch betrachtet, ein Lebewesen, das sich, aus welchem Grund auch immer, schlafend stellt, kann sich notfalls auch totstellen; denn dies scheint als Teilziel der Evolution manchmal nützlich, oft aber auch überlebenswichtig zu sein, ein mehr oder minder bewusstes Sicherheitsstreben und Trachten nach vollkommener Unauffälligkeit (Ärzte, Dichter und Rebellen S. 134).
Dem Frühmenschen blieb häufig nichts anderes übrig, als sich tot zu stellen, also eine Kleintieren vergleichbare Erstarrungsreaktion zu zeigen ( Christoph Wulf).

Die akute Schreckstarre der Tiere unterscheidet sich allerdings grundsätzlich von einem psychosomatischen Totstellversuch bei Menschen. Dass zum Beispiel eine bestimmte Ziegenart – myotonic goats – ständig vor Schreck umfällt, beruht auf einem Gendefekt. Mit Geduld kann man aber Katzen, Hunden und Elefanten beibringen, sich auf Befehl totzustellen.

Dass ein spektakulärer Totstellversuch vorteilhaft sein kann, brauchen Insekten und Spinnen nicht zu lernen, da der spontan inszenierte Scheinselbstmord seit Urzeiten Schutz vor Fressfeinden bietet. Auch Fledermäuse stellen sich gelegentlich tot. Ein Käfer – claviger testaceus – läßt sich von arglosen Ameisen – als Trojanisches Pferd wie tot – in ihren Bau tragen, um sich dort Eier und Brut einzuverleiben. Der Totstellversuch eines dafür besonders anfälligen Nagetiers, der Beutelratte Possum, hat dem Play Possum den Namen gegeben. Ob es sich um ein Spiel mit dem Tod handelt oder um das im tierischen Dasein ständige Zu-TodeErschreckt-sein, Neurowissenschaftler haben das Erstarren als automatische Reaktion der Amygdala interpretiert.

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