

Geleitwort
Im letzten Jahrhundert der mehr als 300-jährigen Geschichte der Berliner Charité gab es unter den bekannten Ärzten und Forschern nicht nur Nobelpreisträger der Medizin, wie zum Beispiel Robert Koch (1843–1910), Paul Ehrlich (1854–1915) und Emil von Behring (1854–1917), sondern auch eine Reihe namhafter Schriftsteller, die mit Romanen, Gedichten oder Dramen hervortraten. Jeder zehnte der in diesem Buch vorgestellten Arztdichter war an der Charité tätig, unter anderen Alfred Döblin, Gottfried Benn, Peter Bamm und Heinar Kipphardt.
Die expressionistischen Dichter Alfred Döblin („Berlin Alexanderplatz“) und Gottfried Benn („Morgue-Zyklus“) gelten heute als bedeutende Vertreter der literarischen Moderne. Peter Bamm („Die unsichtbare Flagge“) vertrat als Sanitätsoffizier und einer der wenigen MedizinSchriftsteller im Zweiten Weltkrieg die vom NS-Regime verratenen humanistischen Ideale. Heinar Kipphardt („Bruder Eichmann“) wechselte von der Charité zum Deutschen Theater und dann vom Osten in den Westen. Viele der hier erwähnten 53 Autoren haben in der Psychiatrie und Neurologie gearbeitet. Bei dem allgemein wachsenden wissenschaftlichen Interesse an der Nervenheilkunde gelang es ihnen, die Medizin mit schöner Literatur zu verbinden. Sie wurden dafür mit Literaturpreisen ausgezeichnet, aber auch häufig attackiert und verfolgt. Der Neurologe Jens Petersen, der den Ingeborg Bachmann-Preis (2009) erhielt, äußerte sich zu seiner ärztlichen und schriftstellerischen Tätigkeit mit den Worten:
„Vielleicht gibt es keinen schöneren Beruf, keinen, der einen das menschliche Leben in seiner Bandbreite von der Geburt bis zum Tod so intensiv erfahren lässt, der Gelegenheit gibt, Menschen unterschiedlichster Schichten und Kulturkreise in Momenten der Wahrhaftigkeit kennenzulernen.“
Karl F. Masuhr, der Autor des Essays „Ärzte, Dichter und Rebellen“, der als Neurologe an der Freien Universität Berlin tätig war, zeigt auf, wie die Erfahrungen im Umgang mit menschlichem Leben und Leiden das literarische Werk dieser Autoren beeinflussten. Zweifellos kommen – und auch das zeigt Masuhr – ärztliche und psychologische Erfahrungen der schriftstellerischen Arbeit zugute, doch sei ein individueller Widerstand geradezu „konstitutiv für das komplexe Zusammenspiel von Medizin und Poesie“. Denn nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Medizin sind divergierende Vorstellungen angelegt, die, von beiden Seiten kommend und in beide Richtungen gehend, Widerstand herausfordern. Das Buch ist weit mehr als eine Sammlung biographischer Details. Es zeigt die prägende Wirkung ärztlichen Erlebens für das literarische Engagement der Protagonisten. Professor Dr. med. Karl Max Einhäupl, Vorstand der Charité