Zensur und Denunziation

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Aus einem aktuellen Leserbrief an die Rheinzeitung über Denunziantenportale für Schülerinnen und Schüler:

„…Es begann mit Hetze gegen Fremde, ging weiter mit einer scheinbar neutralen Kleinen Anfrage im Bundestag gegen Behinderte, jetzt wird unterschwelliger Lehrerhass in der Gesellschaft genutzt, um Kindern und Jugendlichen Unrecht als Recht erscheinen zu lassen, Verleumdung soll lohnend erscheinen. Der Ton wird zunehmend aggressiver. So wurde und wird für Diktaturen der Weg in den Spitzelstaat geebnet. Sollte diese Partei jemals an die Macht kommen, wird sich der Geist des Denunziantentums, welcher jetzt an Schulen geweckt werden soll, gegen Eltern, Geschwister, Freunde und Nachbarn richten…“  (Anne Rauen)

In den Biographien der Arztdichter finden sich zahlreiche Hinweise auf eine gezielte Überwachung, von der offiziellen Zensur bis zur Erforschung des Privaten, vom Verrat durch Fremde bis zur Denunziation durch Freunde und Verwandte. So war zum Beispiel auch Georg Büchner von einem Kommilitonen angezeigt worden und in Lebensgefahr geraten.

 

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Georg Büchner

 

Der lateinamerikanische Arztdichter Francisco Maldenado da Silva wurde von Dona Felipa de Maldonado, seiner leiblichen Schwester, bei der spanischen Inquisition angezeigt und anno 1639 in Lima wegen Häresie verbrannt.

Erstmals war die „weiße Tortur“ angewandt worden, ein heute als Waterboarding bekanntes Verfahren, das die spanische Inquisition eingeführt hatte, um Ketzer zum Schuldgeständnis und auf den Scheiterhaufen zu bringen.

Die Verhörmethode setzt gewisse medizinische Grundkenntnisse voraus, um das Leben des Betreffenden nicht in jedem Fall zu gefährden; denn bei wiederholtem Einflößen von Wasser in Nase und Mund des Opfers wird zunehmende Angst vor Ertrinken und Ersticken erzeugt, ohne dass damit ein tödliches Risiko des Verfahrens eingeplant oder ausgeschlossen wäre. Die Denunziation von Blutsverwandten, wie im Fall des Arztdichters da Silva, gehörte keineswegs zu den historischen Einzelfällen mit tödlichem Ausgang.

Nach dem Mauerfall kam in Berlin eine schier unglaubliche Denunziation von Familienangehörigen ans Licht. Ein bekannter Wissenschaftler hatte im Dienst der Staatssicherheit seine Geschwister ausgespäht. Die Geschichte des Verrats, die dem Spion der Familie das Leben kostete, wurde in allen Details von den Betroffenen und von dem Täter belegt:

Ein 44-jähriger Historiker der Akademie der Wissenschaften der DDR hatte als inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit seine jüngeren Geschwister, eine Ärztin und einen Schriftsteller, jahrelang beobachtet und seine Wahrnehmungen sorgfältig dokumentiert. Im Jahr 1977, nach der Ausreise des Bruders, der als regimekritischer Autor bekannt geworden war, versuchte der IM wiederholt, aber vergeblich, ihn von West- nach Ostberlin zu locken. Der widerständige Bruder sollte auftragsgemäß „hinter Gittern verschwinden.“ Als die DDR politisch-kartographisch nicht mehr identifizierbar und der Verrat des IM an seinen Geschwistern publik geworden war, sah dieser nach sieben Jahren seines Doppellebens keinen anderen Ausweg, als sich – öffentlich – zu erschießen. Das Ausspähen der Familie hatte das Vertrauen der Betroffenen nicht nur verletzt, sondern erschüttert und bei ihnen „tiefe Wunden gerissen,“ als sie sich des Verrats und der daraus resultierenden Gefahr bewusst geworden waren, aber letztlich nichts an dem Projekt „Literatur und Widerstand“ ändern können (vgl. Karl F. Masuhr 2018, S. 247).

300 Jahre nach dem Autodafé von Lima, als mit dem II. Weltkrieg der NS-Völkermord begann, wurden immer mehr widerständige Menschen von ihren nächsten Angehörigen an die Gestapo verraten, um inhaftiert oder hingerichtet zu werden.

Besonders perfide war die Anzeige einer sog. Judasfrau: Die 32-jährige Kindergärtnerin Else N. aus Niederbayern, brachte ihren Hausarzt, den 53-jährigen Doktor Alois G., wegen des Verdachts auf „Erschütterung des Siegglaubens“ vor den Volksgerichtshof in Berlin. Er wurde durch das Fallbeil hingerichtet. (Vgl. Helga Schubert: Judasfrauen: Zehn Fallgeschichten weiblicher Denunziation im Dritten Reich.1990, S. 48–64.)

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