Astrid Kohlmeier

Astrid Kohlmeier, Autorin, Regisseurin: *1983 in Graz, studierte Germanistik an der Universität Graz und am Institut Schauspiel der KUG, künstlerisch-wissenschaftliche Assistenz ebendort. Aufführungen von Kohlmeiers Theatertexten (Lauke Verlag) in Graz, München, Luxembourg, Basel. Regiearbeiten u.a. an Theatern in Memmingen, Graz und Greiz („Greizer Theaterherbst“), Gastspiel der Regisseurin bei den „Regensburger Theatertagen“. (Foto, Ausschnitt:Walter Pobaschnig) 

Sehnen

Wenn meine Nächte am dunkelsten sind
Wachsen meinem Sehnen Flügel
Und es reist über den Mondesrand
Bevor ein Traumgespinst mich holt zu dir

Still lege ich mich in dein Gewordensein
Und atme ganz allein für dich
Ich deck‘ dich zu mit meinem wirren Haar
Und leg‘ den Arm um deine Einsamkeit

Sodass wir friedlich beieinander schlafen
Wie zwei Kinder, die vom Tod nichts wissen

Astrid Kohlmeier 2023

„In meinen Gedichten und Prosatexten erforsche ich immer wieder zwischenmenschliche Beziehungen, so auch jene zwischen Mann und Frau. Das Motiv der weiblichen Sehnsucht nach einer vollkommenen Liebe, das Sich-Verlieren in einem Gegenüber, die Gewalt, der Frauen ausgesetzt sind, spielen auch in meinen Texten eine Rolle.

Soeben ist mein Gedichtband „Zärtliche Risse“ im Wolf Verlag erschienen, derzeit arbeite ich bereits an meinem dritten Lyrikband und an einigen Erzählungen, die gesammelt in einem Band erscheinen sollen. Ich spiele gerade auch wieder mit dem Gedanken, einen Literaturklassiker für die Bühne zu bearbeiten.

zu weiteren Gedichten Astrid Kohlmeiers

„Astrid Kohlmeiers Gedichte laben die Seele der Zuhörer und Leser und entführen in eine Welt von großer poetischer Strahlkraft, in der einem auf Schritt und Tritt die Liebe begegnet. Kohlmeiers Miniaturen erzählen vom Menschsein, von flüchtigen und innigen Begegnungen, von Stille und Unruhe, Freude und Zorn, Zweisamkeit und Sehnsucht, Frieden und Krieg.“ (Fb 18.3.2024)

Jan Peter Bremer: Nachhausekommen

Jan Peter Bremer: „Nachhausekommen“: Sie verstehen nicht, wie wir hier leben. Rezension von Hilmar Klute, Süddeutsche Zeitung: „Künstler und Autoren ziehen seit den Siebzigern ins niedersächsische Wendland. Jan Peter Bremer erzählt von ihrem Milieu aus der Perspektive des Künstlerkindes, das er selbst dort war.“

Charakteristische Bauweise im Landkreis Lüchow-Dannenberg, der in den Siebzigerjahren zusehends zum Lebensmittelpunkt von Künstlern, Schriftstellern und Journalisten wurde: ein Rundlingsdorf im Wendland. (Foto: Roland Marske/imago images/imagebroker) Von Hilmar Klute, SZ

Jan Peter Bremer

Sechs Jahre alt ist der Erzähler, als ihn seine Eltern aus dem wilden Berlin der 1970er-Jahre ins dörfliche Gümse des niedersächsischen Wendlands verpflanzen. Nicht nur ist sein imposanter Vater ein erfolgreicher Künstler, auch wird ihr Zuhause ein regelmäßiger Treffpunkt für die Kunst- und Kulturszene der alten Bundesrepublik. Mit dem intellektuellen, politisch links stehenden Milieu der Eltern und dem ländlich-provinziellen Leben des Dorfes im »Zonenrandgebiet« prallen Welten aufeinander, zwischen denen der Junge Orientierung sucht – und schließlich im Schreiben findet.

In einer großen Erinnerungsbewegung schildert Jan Peter Bremer eine Kindheit auf dem Land, seine literarisch meisterhaft erzählte, tragikomisch-berührende Geschichte.

»Jan Peter Bremer erzählt, wie ein kindliches Bewusstsein sich bildet, nämlich sein eigenes, und weil er ein so kluger, eleganter Erzähler ist, ist das unendlich traurig und furchtbar lustig zugleich.« Thomas Hettche

»Mein Kosmos von Jan Peter Bremer ist um ein weiteres Buch bereichert worden: Nachhausekommen. Tragikomisch, berührend, grandios.« Angelika Klüssendorf

Wieder in Berlin: Nicolas Born


Irmgard und Nicolas Born, Peter Handke, Verona 1979 (Foto Isolde Ohlbaum): jetzt ist Nicolas wieder in Berlin.

Wenn ich an Nicolas Born denke, frage ich mich manchmal, warum über seine Gedichte, die doch, auf ihre Weise, ebenso frech, wild und formvollendet sind wie jene seines Freundes Brinkmann, nicht auch so ein Geschrei herrscht wie über die Lyrik des letzteren. Wahrscheinlich aber wird Nicolas Born genauso immer weiter gelesen, aufbewahrt und weitergetragen, doch eben nicht von Leuten, die einen großen Dichter als Bannerträger gegen etwas brauchen und mißbrauchen, sondern von anderen Lesern, schweigsamen,
warten könnenden, die, wenn sie es vermeiden, „Nicolas Born!“ zu schreien, schon wissen, was sie tun. (Peter Handke (1987), in Literaturmagazin, Heft 21, Rowohlt Verlag, 1988).

Sachliche Romanze

Edward Hopper: Nighthawks (1942)

Erich Kästner: Sachliche Romanze

Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.

Ein Phantomerlebnis. Astrid Kohlmeiers poetische Sensibilität

Phantomschmerz

Astrid Kohlmeier

Ich berühre dich nicht?
Und doch trage ich

Deine Hand an meiner Wange
Dein Gesicht auf meinen Lippen
Deine Tränen auf der Zunge
Ich trage

Deine Stimme in meinem Ohr
Deinen Schweiß auf meiner Haut
Deine Gedanken unter meiner Stirn
Immerfort berührt von dir

Die letzte Zeile: „Immerfort berührt von Dir“ drückt es aus, einen spürbarer Verlust nach der Trennung der Liebenden, wie ein Phantomschmerz. Berühren und Berührtsein in (Überein-)Stimmung von Poetik und Psychosomatik.

Die Stimmung stimmt. Mit diesem Gedicht verkörpert das lyrische Ich im Dialog der Liebenden plastischer als jede eindimensionale (Neuro-)Psychologie eine Reihe dreidimensionaler Objekte. Es sind Organe (Körperteile), die intersubjektiv lebendig, beweglich und noch in der Erinnerung da sind. Wie aber kann der Mensch etwas empfinden, was nicht (mehr) ist? Die Neurophysiologie erklärt das zunächst paradox erscheinende Phänomen:

Nach Verlust einer Gliedmaße stellt sich fast regelmäßig ein Phantomerlebnis ein. Der Amputierte meint anfangs, das Glied sei unversehrt, sodass er sich beispielsweise darauf stützt und zu Fall kommt. Im weiteren Verlauf scheint sich das Phantomglied zu verkürzen. Ein Teil der Verletzten leidet unter intensiven neuropathischen Phantomschmerzen. Neurologen sprechen von Phantomschmerzen, wenn der neuronale Fluss zum kortikalen Areal und zugleich inhibitorische A-Beta-fasern unterbrochen werden. Das sind neuropathische Deafferenzierungsschmerzen, die paradox erscheinen müssen: Nach Amputation wird ein zentral repräsentierter prä- und perioperativer Schmerz in das Phantomglied projiziert. (Duale Reihe Neurologie Stuttgart 2016).

Doch wie kann die Dichterin Astrid Kohlmeier, wunderbar wie der Dichter Jon Fosse, „dem Unsagbaren eine Stimme geben“?

Die neue Phänomenologie erleichtert das Verstehen des paradox erscheinenden Schmerzes, vor allem die Wahrnehmung des nicht existierenden Phantomglieds. Für Jean-Luc Marion ist „Das Erscheinen des Unsichtbaren“ eine wahre Offenbarung. Der erste Anhaltspunkt für die Dynamik seiner phänomenologischen Methode soll „die erotische Reduktion“ sein:
Wenn Liebende eine einzigartige Empfindung oder Erregung spüren und hervorrufen, können auch Künstler, Maler oder Musiker etwas Unsichtbares bzw. Unerhörtes wahrnehmen und zugleich eine neue Empfindung bei anderen auslösen.

Aus neurologisch-anthropologischer Perspektive bedeutet dies, dass sich die taktile Empfindung bei jeder Berührung eines anderen Menschen mit der Selbstwahrnehmung verbindet, zumal niemand einen anderen berühren kann, ohne sich selbst zu spüren. Hier bestätigt sich Viktor von Weizsäckers Theorie der Einheit von Wahrnehmen und Bewegen.

Astrid Kohlmeier: Phantomerlebnis

Amputiert sind nun die
Schwingen meiner Seele
Die deine Gegenwart hat
wachsen lassen

Geblieben sind mir einzig
eine goldene Feder
Und zwei gezackte Narben
auf dem wunden Rücken

Versiegt ist auch der
sanfte Strom
Der mein Boot in zarten
Nächten zu dir getragen hat

Ausgetrocknet ist das karge Flussbett
An dem ich niederkniee
und Tag für Tag um Regen bete

Meine Flügel
und meine Tränenquelle
Sind nun in einer fernen
Zwischenwelt

In der du fortlebst
ohne mich
Ich spüre dich noch und
wie du fehlst

6.10.2023 © A. Kohlmeier

Zeitreise

Wie sehne ich mich danach, rückwärts zu laufen
In der Zeit kleiner und kleiner zu werden
Noch einmal würde ich von der Unschuld kosten
Hineinbeißen in den süßen Apfel des Glücks

Noch einmal wäre ich heil und ohne Narben
Und geborgen an der Brust der Mutter
Noch einmal würde ich Ich-liebe-dich sagen ohne Furcht
Und all meine Tränen in Windeseile vergessen

Noch einmal würde ich aufblühen bei jedem Atemzug
Würde staunen und spielen ohne Ernst und ohne Waffen
Noch einmal wäre ich im Glauben, dass alles gut und möglich ist
Und würde gar nichts wissen von Tod und von Verderben

Noch einmal würde ich niemanden und nichts verloren haben
Und hätte nicht verraten und verletzt
Aber über allem hätte ich noch einmal einen Vater
Und müsste nicht erwachsen wie ich bin an seinem finsteren Grabe stehen

Astrid Kohlmeier 2023

Kunst der Ukraine 2023

Im Museum der pisankovogo Malerei die Eröffnung der Ausstellung „ONE MOMENT“:
Oksana Sentimreí und Natalka Otkovi č ( Lviv, Lemberg, Ukraine).

Die beiden Künstlerinnen sind Absolventen der Nationalen Akademie der Künste von Lemberg (Lviv) und lehren am Staatlichen College für Dekorative Kunst und U žnogo-Kunst der I. Trusha. Zahlreiche Ausstellungen und Kunstprojekte.

Oksana Sentimrei arbeitet in einer Papierschnitttechnik, die es ermöglicht, Licht- und Schattenspiel, ein Gefühl von Schwerelosigkeit und Mysterium zu vermitteln. Ihre Werke basieren auf ukrainischer Symbolik: folk vytinankah. Sie sind immer asymmetrisch, was den Denkflug nicht einschränkt. Im Gegeenzeil: Wahrnehmung unbd Bewegung.

Oksana Sentimreí

Die Werke von Natalka Otkovi č lenken auf abstrakte Entscheidungen, Dynamik und sind improvisierte metaphorische Kompositionen. Das Spiel von Farben, grafischen Linien und Spots lässt den Zuschauer in die emotionale und lyrische Welt dieser kreativen Kompositionen der Künstlerin eintauchen.

Teufelszeug

„Teufelszeug“: Künstlicher Süßstoff aktiviert das Hungerzentrum,
sodass man m e h r isst. (Prof. S. Martin, Spon 14.9.2023)
„Eine neue Studie zeigt, dass der süße Geschmack das Gehirn verwirrt, weil er ohne Kalorien daherkommt. Das aktiviert das Hungerzentrum, sodass man mehr isst. Die WHO diskutiert außerdem gerade, ob Süßstoffe nicht auch krebserregend sind.“

»Fett macht nicht fett. Das ist ein hartnäckiger Mythos«

„Fett macht nicht fett, wenn man wenig Kohlenhydrate isst. Nur gehärtete Fette in Margarine sollte man meiden.“

Aspartam als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft

Essen als Leistungsbooster

»Normaler Quark ist genauso gut«

Welches Training hilft am besten beim Abnehmen? Und warum bringen Nahrungsergänzungsmittel nichts? Die Ökotrophologin Anja Carlsohn räumt mit Sportlermythen auf – und verrät, wie man beim Marathon den »Mann mit dem Hammer« bezwingt.

Ein Interview von Jonas Kraus

17.09.2023, 10.15 Uhr• aus DER SPIEGEL 54/2023

https://www.spiegel.de/sport/ernaehrung-beim-sport-welches-essen-steigert-die-leistung-a-ae76a31d-0c52-4b84-a2e1-22c1ddb8e517?sara_ref=re-so-fb-sh4-

Liebende in Erwartung. Zur Lyrik ASTRID KOHLMEIERS

Astrid Kohlmeier: Ungeduld

Voller Ungeduld erwarte ich dich
Wie meine Haut hungert nach dir.
Wie mein Herz zittert und knurrt
Als du endlich ankommst in mir

Ich lerne dein Antlitz auswendig
Wickle deine Locke um den Finger
Schreibe dir mit meinen Nägeln
Ein Geheimnis auf die Haut

Ich atme dich ein, atme dich aus
Flüstere in einer mir fremden Sprache
Und bringe uns beide weit fort von hier
An einen Ort, der keinen Namen trägt

Mit Küssen verschließe ich dir die Augenlider
Sodass du in der zarten Dunkelheit
Nur eines siehst – mich – in all meiner Nacktheit
In der nichts vor dir verborgen bleibt

_______________________________________

Akt von Dieter Masuhr

Schon kreisen die Verse Astrid Kohlmeiers im deutschsprachigen Raum. Das Gedicht, das auch die Handschrift der Regisseurin Astrid Kohlmeier erkennen lässt, trägt den Titel „Ungeduld“. Ungeduld ist hier die Erwartung der Liebenden.
Der besondere Reiz des Gedichts besteht m. E. darin, dass die Liebende(n) ein, zwei oder drei Personen sein könnten. Jedenfalls scheint die Autorin insofern präsent zu sein, als sie das Liebesspiel inszeniert.

Beitrag von @calamity_jane_kjf: „Zärtliche Risse“ könnte „Von der Liebe“ erzählen, wie auch der erste Teil des Bandes betitelt ist. Aber erzählen ist vielleicht an dieser Stelle schon ein unachtsam gesetztes Wort. Vielmehr ist es ein Begreifen, ein Fühlen, ein Hinhorchen, ein Hineinlugen in ebenjene bitterzarten Risse.

„Du bist anderswo / Wenn deine düsteren Geister mich jagen / Deine Zweifel zärtliche Risse in meine Wände treiben / Deine Tränen von meinen Wangen stürzen. (…)“. (aus: Anderswo, S.32)

Mit diesem Beginn ist das Thema des Verlustes bereits präsent. Auch der tatsächlichen Zeit mit der geliebten Person ist immer eine Grenze gesetzt, sei es durch ihre Abwesenheit, die Flüchtigkeit der Begegnung oder der eigenen Einsamkeit wegen, der Unauflösbarkeit des Todes. Das lyrische Ich ist offen, wund. Die Intensität in der Sprache mal knapp, mal ausufernd, sodass die Unaushaltbarkeit des jeweiligen Zustands unangenehm konkret wird. Das Wundern über sich und die Liebe mutet manchmal beinahe sakral an. Eine mögliche Vergoldung der Risse, das lockige Haar, die Seelenberührung sprechen von einer Tiefe, die der Beziehung eine ausgesprochene Besonderheit verleiht. Worin diese liegt, wissen wohl nur die Liebenden selbst.

Nach dem großen Einstieg in „Von der Liebe“, in dem manchmal Zweifel an den Worten aufkommen, fungieren diese im Kapitel „Worte aneinanderreihen“ wieder als Sicherheitsträger. Die Sicherheit ist allerdings nicht von langer Dauer. „Krieg und Frieden“ ist traurig zeitlos, zeigt wechselnde Positionen auf, erzählt vom hoffnungsarmen Bleiben, vom überlebensnotwendigen Gehen, in alldem der tiefe Wunsch nach Frieden.


Fast besänftigend wirken dann die „Momentaufnahmen“ mit scheinbaren Alltäglichkeiten, aber stets mit derselben Wortgewalt wie zuvor. „Zärtliche Risse“ hat durchaus Pathos.
*

*
*
*

_____________________________________

Astrid Kohlmeier, Autorin, Regisseurin: *1983 in Graz, studierte Germanistik an der Universität Graz und am Institut Schauspiel der KUG, künstlerisch-wissenschaftliche Assistenz ebendort. Aufführungen von Kohlmeiers Theatertexten (Lauke Verlag) in Graz, München, Luxembourg, Basel. Regiearbeiten u.a. an Theatern in Memmingen, Graz und Greiz („Greizer Theaterherbst“), Gastspiel der Regisseurin bei den „Regensburger Theatertagen“.