Sigmund Freud meinte, dass „der eigentliche Genuß des Dichtwerkes aus der Befreiung von Spannungen in unserer Seele hervorgeht“. Lyrische Verse mögen wie eine berührende Melodie auf die Leserschaft wirken, Geistergeschichten sollen Nervenkitzel und Gruselgefühle her- vorrufen, aber die tragischen Momente eines Freiheitsdramas können im Publikum auch latente Ängste auslösen: die unbewusste Furcht vor eige- ner Unabhängigkeit. In der neueren psychoanalytischen Literatur liest sich die Auffassung von der „Angst vor Autonomie“ so: "Es ist unser Schicksal, dass, wenn wir nie die Chance hatten, uns aufzulehnen, wir die Absurdität durchleben müssen, nie ein eigenes Selbst gelebt zu haben." (Arno Gruen: Der Verrat am Selbst. Die Angst vor Autonomie bei Mann und Frau. München 2009, S. 161) Gerade die wechselnden Perspektiven der biographischen Medizin und der vergleichenden Biographik lassen erkennen, dass in der Heilkunde und in der Literatur Ideen angelegt sind, die bei der Analyse ihres Zu- sammenwirkens spürbaren Widerstand herausfordern. Dies scheint kon- stitutiv für die Verbindung der Heilkunde mit der Poesie zu sein. Fraglich bleibt, ob das für Kultur, Kreativität und Fortschritt schlechthin gilt, wenn zum Beispiel eine Devise lautete: "Empört euch! Neues schaffen heißt Widerstand leisten! Wider- stand leisten heißt Neues schaffen! " (Stéphane Hessel: Empört euch! Berlin 2011) Sigmund Freud (1856–1939) Wenn Ärzte und manchmal auch Ärztinnen – ob im Mittelalter oder in der Neuzeit – den Entschluss fassten, schriftstellerisch tätig zu werden, konnten sie sich keine Hoffnung auf ein langes Dichterdasein machen. Ruhm schien hauptsächlich Nachruhm zu sein. Dennoch war schon in früheren Jahrhunderten die Zuversicht einiger Autoren groß genug, um einem Lebensgefühl, das von der Nichtigkeit des Daseins bestimmt wur- de, wenn nicht mit medizinischen Mitteln, so doch mit Hilfe der Kunst so lange wie möglich widerstehen zu können. Dies entspricht auch der ästhe- tischen Daseinsauffassung in der psychoanalytischen Lehre. Nach Sig- mund Freud ist Vergänglichkeit keineswegs mit der Entwer- tung des Schönen verbunden, sondern im Gegenteil als „Wertsteigerung“ aufzufassen. Bei der Betrachtung der bildendenden Kunst und Literatur wird das Fazit seiner Studie über Das Unbehagen in der Kultur durch einen Vers aus Friedrich Schillers Ballade Der Taucher gemildert: Es freue sich, wer da atmet im rosigen Licht. Auf diese Ballade berief sich auch Alfred Döblin (1878–1957): In beson- ders kritischen Situationen seines Lebens habe er sich daran erinnert, weil dem Bericht des Tauchers über die Gefahr, in einen Strudel zu geraten, ein hoffnungsvoller Vers auf dem Fuß folge: Doch es war mir zum Heil, es riss mich nach oben.
Monat: Februar 2020
Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hängetUnd voll mit wilden RosenDas Land in den See,Ihr holden Schwäne,Und trunken von KüssenTunkt ihr das HauptIns heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm ich, wennEs Winter ist, die Blumen, und woDen Sonnenschein,Und Schatten der Erde ?Die Mauern stehnSprachlos und kalt, im WindeKlirren die Fahnen. Dies ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen … Weiterlesen Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens
Huckepack, Hase und Igel
Huckepack, hier: auf der Schulter hocken Sandmännchen: „Liebe Kinder! Ein Hase soll in geheimer Wahl zum Präsidenten von Thüringen gewählt werden. Er bekommt von 100 Tieren des Thüringer Waldes 50 Stimmen, während seine beiden Mitbewerber (zwei Igel) 45 bzw. 5 Stimmen erhalten. Also ein Unentschieden. Will nun der 1. Igel nur als „Huckepack“ (in Thüringen: … Weiterlesen Huckepack, Hase und Igel
Mehr Hirn in die Politik: Robert Habeck-Bücher
Aktuell Einst als Bewegung der "Müsli-Esser" und "Ökospinner" abgetan, gewinnt die Partei immer mehr Anhänger, selbst in der bürgerlichen Mitte. Und dabei spielt Robert Habeck eine, wenn nicht die zentrale Rolle." Aber wie kam es zu seinem kometenhaften Aufstieg? Welchen Personen und welchen Umständen verdankt er seine rasche Karriere? Und welchen Eigenschaften? Aus Gesprächen mit … Weiterlesen Mehr Hirn in die Politik: Robert Habeck-Bücher
Hugo von Hofmannsthal
Die Beiden Sie trug den Becher in der Hand- Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,So leicht und sicher war ihr Gang,Kein Tropfen aus dem Becher sprang. So leicht und fest war seine Hand:Er ritt auf einem jungen Pferde,Und mit nachlässiger GebärdeErzwang er, daß es zitternd stand. Jedoch, wenn er aus ihrer HandDen leichten … Weiterlesen Hugo von Hofmannsthal




