Das Wissen hat Grenzen, das Denken nicht. (ALBERT SCHWEITZER)
Rebellion gegen die Vergänglichkeit.
Schreibende Ärzte und Ärztinnen ohne Grenzen
Am Anfang des Diskurses steht die Überlegung, unter welchen Voraus-
setzungen Medizin und Dichtung eine Verbindung eingehen können.
Bei dem Versuch, das Dickicht medizinhistorischer Bibliotheken zu durch-dringen und das Geflecht der literaturwissenschaftlichen Überlieferungen,
Sagen und Mythen zu durchbrechen, stößt man auf Archive, in denen
Ärzte und Dichter getrennt voneinander aufbewahrt werden, so als hätten
sie dort schon zu Lebzeiten reaktions- und beziehungslos geruht oder wie
Kaiser Barbarossa Jahrhunderte verschlafen.
Warum es so wenige bekannte Ärzte und Dichter in Personalunion
gibt, erklärt sich wahrscheinlich daraus, dass der sogenannte Arzt-Dichter erst vor einem halben Jahrhundert entdeckt wurde. Bis zu diesem Zeit-
punkt gab es anscheinend auch keine Dichterin, die zugleich Ärztin war.
Stattdessen wird regelmäßig die heilkundige Ordensfrau Hildegard von
Bingen als erste Zeugin für das Gelingen der Allianz von Medizin und
Poesie im Mittelalter aufgerufen. Von einem gelehrten Mönch des
10. Jahrhunderts, genannt Notker der Arzt oder Notker der Dichter, ist wenig,
nicht einmal das Geburtsdatum bekannt. In der Renaissance-Literatur begegnet man dem Ordensmann, Arzt und Dichter Francois de Rabelais
(geboren 1483 oder 1494), jenem berühmten Wortkünstler, der sich in seiner vierten bzw. gfünften Lebensdekade für die Ausübung der Heilkunde entschieden hatte. Er soll wegen seiner satirischen und ketzerischen Schriften gelegentlich gescholten, verboten und eingesperrt worden sein. Die Plaisanterie rabelaisienne, sein freimütig derber Witz, wird heute noch geschätzt. Von Zeit zu Zeit wirkten noch heidnische Götter mit: Apollon und Eros. Das apollini-
sche Zusammenspiel von Medizin und Poesie war in der frühen Neuzeit ein
Glücksfall. Doch der Einfluss des Liebesgottes auf den „medicus poeta“
überdauerte die Jahrhunderte. Dies belegen Gedichte von Paul Fleming und Johann Christian Günther, Friedrich Schiller und John Keats.
Die Brücke zwischen Medizin und Dichtkunst – in der Welt der Mythen zwischen Apoll und Eros – ist die Bewegtheit des Gemüts, so scheint es mir. Wes das Herz voll ist, sagt ein Sprichwort, dem läuft der Mund über. Wer bzw. was macht das Herz voller als der Liebesgott, die göttliche Liebe? Die Gabe der Schreibkunst verleiht dann Apoll.
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