
„Ein unsichtbarer Feind ist’s, den ich fürchte,
Der in der Menschen Brust mir widersteht,
Durch feige Furcht allein mir fürchterlich.
Nicht, was lebendig, kraftvoll sich verkündigt,
Ist das gefährlich Furchtbare. Das ganz
Gemeine ist’s, das ewig Gestrige,
Was immer war und immer wiederkehrt
Und morgen gilt, weil’s heute hat gegolten!“
(aus Friedrich Schillers Tragödie Wallensteins Tod)
Friedrich Schiller, so heißt es heute, sei dem Arztberuf „durch seine Flucht aus Stuttgart entronnen“. Entgegen seiner späteren Kritik am Herzog von Württemberg, der ihn gedemütigt, eingesperrt und genötigt hatte, nie wieder „Komödien“ wie Die Räuber zu schreiben, hätten die fürstlichen „Bildungsideale“ angeblich durchaus den „aufgeklärten Vorstellungen seiner Zeit“ entsprochen.
Friedrich Schiller, geboren am 10. 11 .1759, wurde als Autor von Freiheitsdramen berühmt; er war der Sohn eines Wundarztes und studierte an der Stuttgarter Militärakademie Medizin. Der angehende Regimentsmedikus hatte schon vor der triumphalen Mannheimer Uraufführung seines Schauspiels „Die Räuber“ (1782) drei medizinische Dissertationen verfasst, die sich mit philosophischen, physiologischen und psychologischen Problemen beschäftigten. Seine erste Streitschrift über die „Philosophie der Physiologie“ (1779) wurde von den Gutachtern – Professoren
und Leibärzten – des Fürsten Carl Eugen, der bei der Disputation anwesend war, rundherum abgelehnt. Die Begründung lautete, diese Arbeit weise neben stilistischen Mängeln zu viel „Feuer“ auf, und „die gesamte gelehrte Welt“ müsse sich durch den Eleven Schiller beleidigt fühlen.6 Der immanente Widerspruchsgeist hatte den akademischen Disput, der in Gegenwart des despotischen Landesvaters stattfand, ungewöhnlich dramatisiert. Erst ein Jahr später, nach einem weiteren vergeblichen Versuch mit einer Dissertation über Fieberkrankheiten, die als unfertig disqualifiziert worden war, wurde dem 21-jährigen Schiller der Doktortitel verliehen. In der dritten Dissertation hatte er den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen (1780) aufgezeigt und anschaulicher als jeder Mediziner seiner Zeit dargelegt, wie die Seele „in ihren Tiefen erschüttert“ und „der Bau der Nerven gelähmt werden“ kann.
Bei einer vergleichenden Betrachtung der Ärzte, Dichter und Rebellen relativiert sich das ihnen zugeschriebene „Genietum“, das nach früher geltenden Erkenntnissen und Überzeugungen mehr oder minder angeboren zu sein schien. Daher sind die familiären und beruflichen Entwicklungsschritte der Arztdichter genauer zu betrachten und zu bewerten, beispielsweise ihre wissenschaftliche Neigung und Neugier, nicht zuletzt auch ihre Möglichkeiten des Widerstands. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die psychosomatische Diagnose des Konflikts zwischen dem individuellen Widerstand als Auflehnung gegen ein Regime und der inneren Resistenz gegenüber der Freiheit. Schiller fordert:
„Nicht das Große, nur das Menschliche geschehe.“
Die Verbindung von Medizin und Anthropologie erlaubt ihm daher,
Despotismus nicht nur als Herrschaftsform auszuweisen, sondern auch als Despotismus in uns; schließlich in seinem beharrlichen Insistieren auf Widerstand und Widerstandsrecht, nicht um der Politik Vorrang vor anderem einzuräumen, sondern sie um der Menschlichkeit willen in Schranken zu halten. (1)
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1 Walter Müller-Seidel: Friedrich Schiller und die Politik. Nicht das Große, nur das Menschliche geschehe. München 2009.