- Justinus Kerner, der Dichter und Oberamtsarzt von Weinsberg, nach dem eine süße Weintraube benannt worden ist, war ein ebenso beliebter wie beleibter Patriarch. In der Jugend soll er aber an Magersucht gelitten haben[1] und zur Zeit der Revolution von 1848 ein Rebell gewesen sein. Sein Widerspruchsgeist wurde freilich von der radikal-demokratischen Haltung seines Bruders Georg und seines Sohns Theobald übertroffen. Schließlich zog er sich aus dem politischen Streit zurück, schrieb aber umso mehr romantische Gedichte. Gelegentlich machte er seine Hausbesuche gemeinsam mit dem Totengräber, einem begabten Poeten. Er wurde auch als „Geisterseher von Weinsberg“ bekannt.[2] Dies war kein Einzelfall:

Hildegard von Bingen war im Mittelalter als „teutonische Seherin“ gerühmt worden.[3] Der romantische Arztdichter David Koreff pflegte den Geisterglauben seiner Zeit.

Friedrich Schiller verfasste den Schauerroman Geisterseher, Morio Kita eine glaubhafte Geistergeschichte; die junge Ärztin Charlotte Wolff widmete sich der Handlesekunst, der alte Kriminalschriftsteller Arthur Conan Doyle dem Spiritismus. Während der Geist Mephistos dem fabulierenden Axel Munthe nur im Traum erschienen war, soll der Neurologe und Erbeschreiber des Mitchell-Syndroms[4]tatsächlich einem Geist begegnet sein.[5]


[1] Grüsser, Otto-Joachim: Justinus Kerner 1786-1862. Heidelberg 1987, S. 19 f.
[2] Vgl. Kapitel 8: Lied und Leid.
[3] Kay Peter Jankrift: Die großen Ärzte im Porträt. Wiesbaden 2007, S. 61.
[4] S.W. Mitchell (1872): Clinical lecture on certain painful affections of the feet. Phil. Med.Times 3: 81-82, 113.
[5] http://anomalyinfo.com/Stories/18481900-dr-s-weir-mitchells-strange-encounter.