Ich soll reimen und nicht wissen,
Was sich diesmal reimen soll.
Fülle nur mit deinen Küssen
Die gesuchte Strophe voll.
Daß der Strahl von deinem Glanze,
Welcher dich vor andern ziert,
Auch den Ruhm von meinem Kranze
Mit sich auf die Nachwelt führt.
JOHANN CHRISTIAN GÜNTHER
Ursprünglich war Ruhm nicht viel mehr als ein „Geschrei, mit dem man sich brüstete“; später verstand man darunter ein „weitreichendes hohes Ansehen“. Anders als der unterschiedlich verteilte Dichterruhm könnte ein Vergleich der Biographien – unter Berücksichtigung wechselnder Zeitumstände – dem Wirken der Autorinnen und Autoren eher gerecht werden, wenn sich mit ihrer individuellen, im Lauf der Jahrhunderte steigenden Lebenserwartung die Frage verknüpfen lässt, was sie selbst vom Leben erwarteten; ob sie zum Beispiel schon während des Studiums – wie Friedrich Schiller – erste Texte verfasst hatten und den medizinischen Beruf später zugunsten der Dichtkunst aufgaben oder beispielsweise erst nach abgeschlossenem Theologiestudium – wie Francois Rabelais, Johannes Scheffler und Albert Schweitzer – zur ärztlichen Tätigkeit motiviert worden waren.
Aus einigen Selbstzeugnissen der Autoren geht hervor, dass die Existenz eines Mediziners ernsthaft bedroht sein konnte, sobald er sich der Dichtkunst verschrieb. Ein Beispiel dafür ist die Vita des Lyrikers Johann Christian Günther. Der Arztsohn wurde zum Poeta laureatus gekrönt, scheiterte aber sowohl als Bewerber um die Stelle eines Hofdichters in Sachsen als auch bei allen Promotionsversuchen zum Doktor der Medizin; kein Wunder: Er verfasste mindestens 40 000 Verse, darunter den deutschen Liedtext für
Gaudeamus igitur: Brüder lasst uns lustig sein.
Er feierte und trank viel, saß auch im Schuldturm. Erst drei Jahre vor seinem Tod konnte er eine Arztpraxis eröffnen.
Tabelle 1 Arztdichter, Deutschland 17.–19. Jahrhundert
Paul Fleming (1609–1640)
Johannes Scheffler (1624–1677)
Johann Christian Günther (1695–1723)
Friedrich Schiller (1759–1805)
Justinus Kerner (1786–1862)
Heinrich Hoffmann (1809–1894)
Georg Büchner (1813–1837)
In der Tabelle 1 sind Arzt-Dichter des 17.- 19. Jahrhunderts aufgeführt, deren chronologische Reihenfolge sich ändert, wenn die Lebenszeit als Parameter eingesetzt wird:
Tabelle 2 Arztdichter, Deutschland Lebensjahre, aufsteigend, 17.–19. Jahrhundert, wahrscheinliche Todesursachen:
Georg Büchner 24. Lj. Typhus
Johann Christian Günther 28. Lj. Tuberkulose
Paul Fleming 31. Lj. Pneumonie
Friedrich Schiller 46. Lj. Tuberkulose
Johannes Scheffler 53. Lj. Tuberkulose
Justinus Kerner 76. Lj. Grippe
Heinrich Hoffmann 86. Lj. Schlaganfall

Die Prognose einer Arztdichter-Karriere war immer ungewiss. Wer hätte beispielsweise vorhersagen können, dass ein Poet, der sich als Medizinstudent im Sturm und Drang des späten 18. Jahrhunderts zunächst einmal auf das Schreiben von Kriminalliteratur verlegte – und bei der Doktorprüfung durchfiel –, jener Militärarzt, der sich bei den Vorgesetzten wegen unerlaubter Entfernung von der Truppe – und zu allem Übel bei seinen Patienten wegen Überdosierung von Brechmitteln unbeliebt gemacht hatte – wer hätte also gedacht, dass dieser Mediziner eines Tages zum Hochschulprofessor und Hofrat ernannt sowie in den Adelsstand erhoben – und wer hätte geahnt, dass dieser schließlich an der Schwindsucht zugrunde gehende Mann, der anno 1805 unter falschem Namen und ohne Kopf bestattet wurde, 100 Jahre nach seinem Tod als deutscher Nationaldichter gefeiert werden würde? Sein bester Freund, ein weiterer klassischer Dichter, hatte an der Totenfeier nicht teilnehmen können, aber später mit einem Gedicht Bei der Betrachtung von Schillers Schädel dieses kongenialen Kopfes gedacht. Der Verewigte konnte freilich schon zu Lebzeiten einen Vorgeschmack von der Verehrung durch die Nachwelt bekommen haben: Fast 15 Jahre vor seinem Tod verbreitete sich überall in Europa das Gerücht von seinem frühen Ableben, so dass er als einer der wenigen Sterblichen erleben durfte, wie seine Bewunderer um ihn trauerten. (Aus „Ärzte, Dichter und Rebellen“, 2. Kapitel: Reim und Ruhm. Erwartungen an ein Dichterleben. Biographik und biographische Medizin. Würzburg 2018, S. 31-44.