Barnie betritt den Tatort, eine Berliner Theaterbühne. Ein Schauspieler ist ermordet worden. Abend für Abend wurde ein Schauspieler auf der Bühne erschossen, doch in der letzten Vorstellung traf ihn eine echte Kugel. Barnie betritt nun immer weitere Ebenen in der ihm vertrauten Welt des Theaters, vor und hinter den Kulissen. Mit feiner Selbstironie kennzeichnet er die Rolle des „allwissenden Erzählers“. Wie der Autor des Kriminalromans J.M. Holland, ist der Protagonist ein erfahrener Theatermann, Schauspieler und Autor, kein Kriminalist.

Warum sollte er nicht gemeinsam mit der Polizei den Fall lösen können: Barnie kennt die meisten Schauspieler und den Regisseur dieses Köpenicker Theaters. Allesamt sind offenbar unverdächtig. Ein Phantom von zierlicher Gestalt muss unbemerkt die Hinterbühne betreten haben, zum Schuß gekommen und sogleich wieder geflohen sein. Damit verlässt der Autor die nächste Ebene, die Wirklichkeit des Theaters und zuletzt ganz die Wiklichkeit. Der Leser folgt dennoch mit Spannung dem Ich-Erzähler bis in eine melacholisch-poetische Rückblende, die wie ein Tagtraum zu sein scheint: die von Barnie erlebte Liebesepisode mit Olga. Damit eröffnen sich wieder zwei neue Ebenen, einmal die Berliner Realität zur DDR-Zeit, dann eine Hamlet-Szene mit Ophelia. Olga ertrinkt im See. Auf diese Weise kehrt der Autor Holland zur Theaterdramaturgie zurück. Ganz im Gegensatz zu einem häufig verwendeten Tatort-Schema, wird die Tat von einem Phantom begangen, aber in unglaublich spannungsgelader Erzählung mit retardierendem Moment, also wieder mit einem Mittel des Theaters versehen und trotz aller Zweifel aufgelöst. Dieser Theaterthriller lebt nicht wie ein historisches Drama vom Mitwissen des Publikums, im Gegenteil, der Täter bzw. die Täterin kann allenfalls geahnt, aber nicht vorzeitig entlarvt werden. Ein Roman, dessen Dramaturgie auf der inneren Bühne des Betrachters wie ein Kriminalfilm abläuft. Genial. (Marc S. Huf, 1. 8. 2020)
Siehe auch https://arztdichter.net/2019/07/14/holland/

J.M. Holland: Seven Sisters
Ein Kommentar zu „Der Mann, der zu spät kam – Der letzte Vorhang“