Die Fälschung war, „was die Leser glaubten“
Dem SPIEGEL-Reporter Juan Moreno ist es gelungen, die unglaublichen Fälschungen seines berüchtigten Kollegen ClAAS RELOTIUS aufzudecken. Dieser RELOTIUS, ein perfekter Hochstapler, berichete mit Vorliebe die grausamsten Einzelheiten aus Krieg und Frieden: Folterung, Hinrichtung, Mord und erweckte mit seinen verstörenden und anrührenden „Reportagen“ das Mitleid der Leserschaft, seiner begeisterten Kritiker und unkritischen Preisverleiher: Ein herausragender „Storyteller“, ein Karl May der Kriegsberichterstattung im fernen Amerika oder Syrien.
Die besten Geschichten waren erfunden, unterhaltsame und gehaltvolle Märchen für SPIEGEL-Leser. Jede Erfindung vereinfachte natürlich die Recherchen. Der Fälscher ließ auch seine Vorgesetzten glauben, was diese glauben wollten. Die Welt sei nun einmal wahr und wahrhaftig schrecklich. Der Ausnahmereporter RELOTIUS sei in der Lage, anrührende Einzelschicksale stellvertretend für das globale Unglück mitfühlend und kompetent, unideologisch plausibel, eben wahrhaftig und gut zu erzählen. Er wurde dafür mit Journalistenpreisen überschüttet. 40 Preise für einen Hochstapler.
Juan Moreno, der unbestechliche Reporter, riskierte seine Karriere, als er die nahezu perfekten Fälschungen mittels mühevoller Nachrecherchen ad absurdum führte. So entstand eine einzigartige spannende Reportage, die sachlich auch über die aktuellen Risiken des Journalismus und historische Fälschungen informiert. Dieses investigative Journalismus hat nun wirklich und wahrhaftig einen Preis verdient.
Liest man NICOLAS BORNS berühmten Roman „Die Fälschung“ (1979), einen Kriegsbericht aus dem Libanon, der vor vierzig Jahren erschien, so fühlt man sich in die Gegenwart versetzt. Denn was damals die Zeitungen mit gefälschten Fotos als wahr darstellten, wird heute derart exakt und perfekt berichtet, dass selbst die Korrespondenten ratlos vor den Wirklichkeitsbildern stehen, weil sie vor Ort nicht mehr ausmachen können, ob das, was sie soeben gesagt oder gepostet haben, wahr oder erlogen ist oder auf gezielter Desinformation beruht.

Juan Moreno zeigt als Reporter eine Ausweg aus dem globalen Fake news-Chaos. (Marc S. Huf 29.9. 2019)
Buchdeckel: Es war der größte Fälschungsskandal seit Jahrzehnten: Ein Reporter des „Spiegel“ hatte Reportagen und Interviews aus dem In- und Ausland geliefert, bewegend und oftmals mit dem Anstrich des Besonderen. Sie alle wurden vom „Spiegel“ und seiner legendären Dokumentation geprüft und abgenommen, sie wurden gedruckt, und der Autor Claas Relotius wurde mit Preisen geradezu überhäuft. Aber: Sie waren – ganz oder zum Teil – frei erfunden.
Juan Moreno hat, eher unfreiwillig und gegen heftigen Widerstand im „Spiegel“, die Fälschungen aufgedeckt. Hier erzählt er die ganze Geschichte vom Aufstieg und Fall des jungen Starjournalisten, dessen Reportagen so perfekt waren, so stimmig, so schön. Claas Relotius schrieb immer genau das, was seine Redaktionen haben wollten. Aber dennoch ist zu fragen, wieso diese Fälschungen jahrelang unentdeckt bleiben konnten. Juan Moreno schreibt mehr als die unglaubliche Geschichte einer beispiellosen Täuschung, er fragt, was diese über den Journalismus aussagt.
Ein hervorragendes Buch, welches trotz der unmittelbaren Rolle Juan Morenos in dem Fall von einer erstaunlichen Reflektion und Abgeklärtheit, ja Sachlichkeit ist. Trotzdem hat das Buch eine den Ablauf gut fassende Dramaturgie. Es ist an keiner Stelle aufrechnend oder rächend, sondern eher von Faszination getragen und dem anfänglichen Unglauben, daß so etwas überhaupt möglich ist. Es zeigt durchweg die integren, reflektierenden, fundierten Qualitäten die Juan Moreno auszeichnen. Persönlich bewundere ich seine charakterliche Stärke nicht nur in dem Fall, sondern auch in seiner Aufarbeitung und Schilderung in diesem Buch. Zudem ist es eine fesselnde Lektüre, die man auch dann kaum auf Seite legen kann, wenn man den Fall verfolgt hat. Schließlich hebt sich das Buch erfreulich von der mit ostentativem Büßerhemd daherkommenden Aufarbeitung des Spiegels ab – welche allerdings wohl dazu beigetragen hat, daß der Spiegel erstaunlich gut davon gekommen ist. Unbedingt lesen! (D.W. 22.9. 2019)
