Mehr als zwei Monate nach der Klinikschließung in Zell soll sich der Kreistag in Cochem am 8. September 2025 mit vollendeten Tatsachen befassen: Die Abgeordneten und die Bevölkerung werden jetzt erst mit dem ganzen Ausmass der Notfallversogungslücke konfrontiert.
Die Landrätin Anke Beilstein beklagt seit der Auflösung des Klinikum Mittelmosel
„ein fühlbares Vakuum der medizinischen Versorgung“. Doch auch das dem Kreistag Cochem-Zell vorgelegte Gutachten des Unternehmenberaters Boris Augursky ist ebenso lückenhaft wie überholt. Die stark vereinfachte und stichwortartig geraffte Präsentation mit dem Titel: „Die Krankenhausversorgung in Rheinland-Pfalz“ zeigt, dass sich der Volkswirt aus Essen nicht eingehend über die regionale Notfallversorgung informieren konnte, da er das wichtige Thema der schweren Unfallververletzungen außer Acht ließ. Auch seine Darstellung der restlichen Untersuchungsergebnisse wird der bestehenden Notlage im Landkreis Cochem-Zell nicht gerecht und dient daher kaum einer zielführenden Entschließung des Kreistags.

Prof. Boris Augurzky, ein Mathematiker und Volkswirt, ist kein medizinischer Sachverständiger, sondern als Geschäftsführer des Unternehmens health care business (hcb)* – außerhalb der Universität – tätig und setzt sich seit 10 Jahren deutschlandweit für den Abbau von Kliniken ein. Sein Ziel ist nicht die Stärkung der Krankenhäuser in ländlichen Regionen, sondern die Ausdlastung der Kliniken mit Maximalversorgung.

Boris Augurzky beriet früher die Träger des Krankenhauses Zell-Mosel mit dem Resultat,

dass trotz seiner Versprechungen, die exzellente Klinik werde zweifellos fortbestehen, deren Schließung am 30. Juni 2025 erfolgte.
Jetzt distanziert sich Boris Augurzky von seiner früheren Beratung und begrüßt die Entscheidung der Träger-GmbH, die gesamte stationäre Grundversorgung in Zell aufzugeben, um
– die Notaufnahme,
– das zertifizierte Traumazentrum,
– das Herzkatheterlabor und
– die Stroke Unit
durch ein ambulantes Gesundheitszentrum (GZ) zu ersetzen,
das jedoch zur Nordallbehandlung schwerer Verletzungen,
akuter Herzinfarkte und Schlaganfälle nicht zugelassen ist.
Die Lücke der Notfallversorgung geht aus zwei aktuellen Gutachten
mit vergleichbaren Abbildungen hervor:


NOTFALLVERSORGUNGSLÜCKE: 1. aus Sicht des hcb (blau) mit Cochem (im roten Ring) und Zell (im weißen Ring), darunter 2. aus Sicht der PD-Beraterstudie (gelb-hellgrün; Zell ist nicht mehr eingezeichnet). Die Fahrzeiten aus dieser Zone bis zu einer Stroke Unit in einer dafür geigneten Klinik überschreiten bei weitem die – nach den evidenzbasierten Leitlinien und Eckpunkten – zulässigen 30 Minuten.
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- Der Gesundheitökonom Dr. Boris Augurzky ist außerplanmäßiger Professor
an der Universität Duisburg-Essen, Geschäftsführer der hcb-GmbH und gesundheitspolitischer Sprecher d. RWI sowie Vorstandsvorsitzender der Rhön-Stiftung. Nach Auskunft der hcb-GmbH gehören zu den „Kunden z. B. Leistungserbringer des Gesundheitswesens, ihre Geschäftspartner und Investoren, wie die Alexianer und die AOK Rheinland“. Augurzky gehört dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) als Beauftragter der AOK an.
1. KRITIK AN DER FORM DES GUTACHTENS
ZUNÄCHST FÄLLT DAS HÄUFIG VERWENDETE GELD-SYMBOL IN DER PRÄSENTATION VON BORIS AUGURZKY AUF, DANN AUCH DER ÖKONOMISCHE IMPERATIV:

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Darüber hinaus dominieren Begriffe wie niedrige „Investitionsförderquote“ ,und
„Hoher Preis je standarisiertem Fall“ ** ohne unmittelbaren Bezug zur medizinischen Notfallversorgung:




Der Gutachter hat der Einfachheit halber das GELD-Symbol einer PPP-Folie
(links unten) entnommen.

Das GELD-Symbol des Gutachters und weitere, einfach strukturierte Piktogramme, die ebenso wie die von ihm benutzte einfache Sprache für Kreistagssitzungen in Cochem verwendet werden, sollen medizinökonomische Prioritäten in die Kommunalpolitik ländlicher Regionen transportieren.**
(Ob aber Piktogramme, die für den Unterricht in der 4. Grundschulklasse taugen,
auch zur Verständigung mit Politikern und medizinischen Experten über komplexe Sachverhalte der Notfallversorgung geeignet sind, zum Beispiel ein Schulbuch-Piktogramm im medizinischen Kontext?


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Es geht dem Volkswirt Augurzky auch mit dem Piktogramm-Männchen ACHTUNG !nicht um die stationäre Akutversorgung schwerer Unfallverletzungen, akuter Herzinfarkte und Schlaganfälle, sondern anscheinend primär um seine ökonomischen Prinzipien, insbesondere die finanziellen Defizite der Krankenhäuser.
Ein „Spielmobil“ soll eine der ebenso gewagten wie unzutreffenden Thesen illustrieren:

Wenn man schnell fahre, sagt Augurzky, könne man notfalls eine längere Fahrzeit (40 Minuten) kompensieren! Damit würde jedoch in jedem Notfall die zulässige Zeit – von 30 Minuten – in der ersten kritischen Stunde der Akutversorgung überschritten.
- Diese Fahrzeiten haben sich in der Region Cochem-Hunsrück seit Schließung der Mittelmosel-Klinik verdoppelt und verdreifacht.
Besonders einleuchtende neue Erkenntnisse symbolisiert nach Augurzky die altbewährte Glühbirne:

Den Höhepunkt der Leerformeln dieses Gutachtens bildet eine Grafik, die Hausärzte im Pensionsalter vereinfacht darstellen soll: (4xÜ65) und 32 mal (als graue Quadrate).

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** Der medizinökonomische Wortschatz des Boris Augurzky ist hingegen komplex:
Hier sein ABC
ARZTKÖPFE = „Mindestvorgabe an fachärztlicher Qualifikation und -Anzahl sowie deren Verfügbarkeit für die medizinische Versorgung.“
AUSLASTUNG = Bettenbelegung 70 % +
EINZELFALL, standarisiert = ein Kranker
FALLZAHL: Zahl der Kranken
LEISTUNGSERBRINGER = Krankenhäuser, Gesundheitszentren
MINDESTMENGEN = Zahl der Behandlungen, die sich lohnen MINDESTMENGENREGELUNG = Bestimmung zur Behandlungszahl
MINDESTVORHALTEZAHLEN = für Leistungsgruppen erforderliche Mindestmengen
MITBEWERBER = Kliniken mit Mindestmengen und mehr
VOLLZEITÄQUIVALENTE = Ärztinnen und Ärzte im Dienst rund um die Uhr
2. RICHTIGSTELLUNG DER AUGURZKY-THESEN
Am 31. März 2025 wurde der Volkswirt Boris Augurzky. Geschäftsführer der Health Care Business GmbH“ (hcb), vom Kreistag Cochem-Zell beauftragt, ein „Gemeinsames medizinisches Versorgungs-konzept“ zu erstellen. Da Herr Augurzky angab, das Gutachten erst nach sechs Monaten vorlegen zu können, wurde er von der Landrätin Anke Beilstein zu einem vorläufigen Bericht nach Cochem gebeten.
Bei einer ersten Vorstellung seiner Thesen am 2. Juni 2025 lehnte der Gutachter das von dem Bürgerentscheid mit einer Mehrheit von fast 90 % geforderte Notfallkonzept ab:
„Eine 2-Standort-Lösung mit Schwerpunktbildung oder ein Pilotprojekt scheiden für kleine Krankenhäuser der Grundversorgung aus.“ Der Gesundheitsökonom plädierte vor dem Kreistag in Cochem für den Erhalt des Krankenhauses in Cochem und für die Schließung der Klinik in Zell. Denn damit könne die Auslastung des Krankenhauses in Cochem von 48 auf 70 Prozent gesteigert werden. Die Auslastung in Zell betrage zwar noch 60 Prozent, aber es fehlten in Zell wie in Cochem vor allem die Leistungsgruppen Schlaganfallbehandlung und Kardiologie, um eine Vorhaltefinanzierung gemäß der Reformgesetzgebung zu gewährleisten.
Diese Schlussfolgerungen sind richtigzustellen,
da die Annahmen und Ausführungen des hcb-Gutachters, bezogen auf den Landkreis Cochem-Zell, nicht zutreffen:
1. Der hcb-Gutachter versicherte, dass die Lücke der Notfallversorgung nach Schließung des Zeller Krankenhauses durch das ambulante Gesundheitszentrum (GZ) bei weiterbestehendem Krankenhaus in Cochem zu überbrücken sei.
Richtigstellung: Das Krankenhaus Cochem kann die Notfallversorgungslücke, in der es selbst liegt, nicht aus eigener Kraft schließen. Ein ambulantes Gesundheitszentrum (GZ) in Zell ist nicht für die Behandlung akuter Notfälle, sondern nur für Alltagsnotfälle zugelassen.
2. Die Problematik „Schwere Notfälle (zum Beispiel Schlaganfall, Herzinfarkt)“ wird schlagwortartig mit „Status quo in Zell: keine Stroke Unit“ bzw. „geringe Fallzahlen“ und „pro Jahr 19 Patienten mit Herzinfarkt aus Zell (!) “ abgehandelt.
Richtigstellung: Nach dem jährlichen Qualitätsbericht des G-BA stellt sich die Situation des Zeller Krankenhauses anders dar:
Das Klinikum Mittelmosel verfügte als Krankenhaus der Regelversorgung über ein umfangreiches und qualifiziertes Leistungsspektrum zur stationären und ambulanten Gesundheitsversorgung, vor allem auch über ein zweimal zertifiziertes Traumazentrum.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) weist überdies für das Klinikum Mittelmosel sowohl eine Stroke Unit als auch ein Herzkatheterlabor aus
(s. Abbildung unten).
3. Der Gutachter Augurzky blendet aus, dass der Zeller Standort seit vielen Jahren nicht nur über eine Schlaganfalleinheit und eine interventionelle Kardiologie, sondern über viele weitere Leistungsgruppen verfügt, die durch das Reformgesetz aktuell gefördert werden. Der Gutachter befürwortet stattdessen „die 1-Standort-Variante Cochem“. Das KH Cochem sei hinsichtlich seiner Belegung und Leistungsgruppen (neben Chirurgie und Innerer Medizin auch Urologie und Geriatrie) „breiter aufgestellt“.
Richtigstellung: Im Marienkrankenhaus Cochem ist weniger als die Hälfte der 143 Betten belegt. Weder für die Akutkranken in der Inneren Abteilung noch in der großen geriatrischen Abteilung ist eine Stroke Unit oder ein Herzkreislauflabor verfügbar.
Im Vergleich der Zahlen aller stationären Behandlungen in Zell und Cochem gab es im Zeller Klinikum auch doppelt so viele frauenärztliche Behandlungen. Insgesamt war nach der Covid-19-Pandemie ein stetiger Anstieg der stationären Aufnahmen in Zell zu registrieren.
4. Der Gutachter betont, dass die beiden Standorte Cochem und Zell, die bisher nicht kooperiert hätten, dies künftig bewerkstelligen könnten.
Richtigstellung: Das Gegenteil trifft zu. Die Träger der beiden Standorte des Landkreises kooperieren erst seit dem 1. Juli 2025 nicht mehr, weil die für Cochem und den gesamten Landkreis wichtigen Einrichtungen, das Herzkatheterlabor, die Schlaganfalleinheit und das Traumazentrum in Zell geschlossen wurden.
Die Standorte konkurrieren vielmehr seit dem 1. Juli insofern, als die Alexianer, die Betreiber des GZ, beabsichtigen, in Zell eine neue ambulante Gefäßchirurgie einrichten, obwohl es bereits eine Gefäßchirurgie in Cochem gibt.
5. In der Endfassung seines Gutachtens konstatiert Boris Augurzky,, die Notfallversorgung bleibe gewährleistet. Sowohl Schlaganfälle als auch Herzinfarkte könnten weiterhin „zeitnah in spezialisierten Kliniken“ behandelt werden, wodurch die Versorgung gesichert sei.
Richtigstellung: Die Entfernung von einer zur Akutversorgung qualifizierten Zielklinik, wie zum Beispiel in Wittlich (Eifel), ist so groß, dass sich seit der Auflösung des Klinikum Mittelmosel die zulässige Rettungsfahrzeit von 30 Minuten in der ländlichen Region verdoppelt und verdreifacht. Wegen der erheblichen Verlängerung der Prähospitalzeit ist damit aber die erste kritische Stunde der Notfallversorgung von Akutkranken mit Schlaganfall, Herzinfarkt oder Polytrauma bereits verstrichen. Deshalb setzte sich der Notarzt Jürgen Adler gemeinsam mit ehemaligen Chefärzten des Zeller Krankenhauses für die Forderung des Bürgerentscheids vom 23. 2. 2025 ein, das Klinikum Mittelmosel mit der bewährten stationären Notfallversorgung zu erhalten – und erhob Klage gegen das Land RLP.
Fazit: Wie früher mehrfach ausgeführt, war mit dem Verzicht auf das Zeller Krankenhaus am 30. Juni 2025 eine riskante Ausweitung der Notfallversorgungslücke im Landkreis Cochem-Zell zu befürchten. Die Schließung des Klinikum Mittelmosel führte in den Regionem Cochem und Hunsrück zu einer gravierenden Notlage, die mit den vorhandenen Strukturen, zusätzlichen Rettungsmitteln incl. Digitalisierung und Telenotarzt, aber auch mit dem Aufbau des ambulanten Gesundheitszentrums (GZ) nicht behoben werden kann. Die Unterversorgung betrifft vor allem Kardiologie, Neurologie und Traumatologie und gefährdet große Teile der Bevölkerung sowie die große Zahl der Gäste, die der Landkreis Cochem-Zell beherbergt.
Die Ausführungen des im Auftrag der Kreisverwaltung Cochem-Zell referierenden hcb-Gutachters Boris Augurzky sind bereits weitgehend überholt, da es neue wissenschaftliche Studien gibt, die nicht vorrangig die Interessen der Kostenträger (Krankenkassen) und Trägerschaften, sondern vielmehr der Kommunen, des Landes und des Bundes, vor allem aber der Kranken und des medizinischen Personals vertreten.
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KFM, 8./26. September 2025
Ein Kommentar zu „Ein verspätetes Gutachten: Unternehmensberater Boris Augurzky hinkt der desolaten Notfallversorgung im Kreis Cochem-Zell hinterher“